29.06.2021 11:22von ( gelöscht )
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MacBo ( gelöscht )
Hinterland im Harz

Hallo,

ich bin in den 70ern bei Dresden geboren. Trotz des späten Jahrgangs habe ich die Jahre in der DDR sehr bewusst erlebt, was sich auch in meiner heutigen Tätigkeit als Zeitzeuge meiner eigenen Kindheit und Jugend in der DDR widerspiegelt, meistens an Schulen, übrigens auch der alten Bundesländer. Ich bin nicht allein deswegen immer daran interessiert, meine Alltagseindrücke und -erinnerungen von damals mit geprüften Tatsachen zu untermauern und sie den Erlebnissen anderer Mitmenschen gegenüberzustellen oder damit abzugleichen, aber auch am täglichen Zeitgeschehen heute zu reflektieren.
Alters- oder vielmehr jugendbedingt ist mir der Militärdienst in der DDR erspart geblieben. Allerdings hab ich in der Verwandtschaft jede Menge ehemals Wehrpflichtige, die teilweise auch an der Grenze ihren Dienst verrichtet haben, z.B. bei Teistungen oder Nordhausen. Die Grenzabschnitte, um die sich meine folgenden Fragen drehen, gehören jedoch nicht dazu.

Seit einigen Jahren bin ich regelmäßig im Harz auf Wanderungen unterwegs. Dabei überquere ich unweigerlich relativ häufig den ehemaligen Grenzstreifen, besonders zwischen Brocken und Wurmberg, nahe Eckertal und Eckertalsperre, aber auch im Südharz bis zum Eichsfeld hinunter.
Daß man vor 1990 nur mit entsprechenden Passierscheinen Orte wie Elend oder Schierke betreten, dort Urlaub machen (solche regelmäßig Privilegierte gab es in meiner Familie) und in den umliegenden Wäldern bis an die letzte Sperrzone heran wandern durfte, ist mir selbstredend bekannt. Auf meinen vielen heutigen Touren ab Wernigerode oder Ilsenburg hab ich mich aber schon oft gefragt, wie weit man als quasi "Normalsterblicher" damals gehen durfte oder vielmehr konnte. Leider finde ich hierzu keine Karte mit eingezeichneten Markierungen oder ähnlichem. Auch vor Ort ist naturgemäß nur die "echte" damalige innerdeutsche Grenze noch als geschichtliches Überbleibsel ersichtlich oder beschildert.

Wie ich anderen Foreneinträgen meine zu entnehmen, durfte man durchaus über die Straße ab Wernigerode/Hasserode und auch über Drei Annen Hohne hinaus bis an die Ortsgrenze Schierke heran. Am sogenannten Stern, dem letzten Abzweig nach Elend, soll ein Schlagbaum und ein Kontrollposten gestanden haben, richtig? Wie sah das im Wald drumherum aus? Da wurde doch sicherlich nur sporadisch kontrolliert, oder? Ab wo standen denn entsprechende Schilder, die einen davon abhalten sollten, egal ob nun ganz bewusst oder ahnungslos, ins Sperrgebiet zu latschen?
War die heutige Brockenbahn ab Wernigerode für Touristen bis Schierke oder zumindest bis Drei Annen Hohne benutzbar? Wenn ich eine Äußerung hier im Forum richtig lese, wohl nicht bzw. nur eingeschränkt. Schon der Bahnhof Schierke war für Normalbürger und selbst für Touristen mit Schierke-Genehmigung offenbar schon tabu. Ein Zugticket zu einem der Haltepunkte davor scheint aber ok gewesen zu sein. Für den Versuch, in Wernigerode ein Ticket bis Schierke zu lösen, handelte man sich wohl aber böse Blicke ein.

Wie weit kam man durchs Ilsetal ab Ilsenburg? Von dort ist es nach meiner Erfahrung in Richtung Scharfenstein und Hermannsklippe nur noch wenige Kilometer bis zum Kolonnenweg auf dem heutigen Hirtenstieg hoch zum Brockengipfel. Dementsprechend dürfte dort für die meisten Bürger schon sehr viel früher Schluss gewesen sein. Durfte man Ilsenburg nach Süden und Südwesten hin überhaupt verlassen?

Auch in Benneckenstein, Rothesütte oder Sülzhayn dürften ähnliche Vorschriften gegolten haben wie in Schierke - so nah wie diese Orte an der Grenze lagen. Meines Wissens befanden sie sich mittendrin im Sperrgebiet.
In Benneckenstein wurde mir letztens übrigens sehr bewusst, wie ungehindert man damals bei guter Sicht dem "Klassenfeind" beim Skifahren auf dem Hexenritt am Wurmberg zuschauen gekonnt haben muss. Freier Ausblick auf den Skihang.
Klar, in diesen Orten unmittelbar an der Grenze lebten mutmaßlich nur "politisch Zuverlässige". Wie stellte sich dort die Präsenz der Grenztruppen und des MfS im Alltag dar? Wurde allzu intensives Gucken (möglichst noch per Fernglas) da etwa geahndet? Oder hat die Aussicht (natürlich nicht nur auf den Skihang) die Anwohner dort tatsächlich nicht interessiert?

Die direkte Lage des Hexenritts, dessen Parkplatz und der sicher auch damals schon existierenden Glühweinbuden, vom Todesstreifen nur durch den Bremke-Bach getrennt, wirkt auf mich heute noch jedesmal skurril. Ähnlich das Bild in Hohegeiß. Auf der einen Seite beißt Jochen aus Hannover nach seiner Harzwanderung am Grenzimbiss in seine verdiente Bratwurst (meines Wissens gab es die Bude oder ähnliche auch schon vor '89). Und 5 Meter weiter patrouillieren bewaffnete Grenzer. Die Logik des Kalten Krieges. Man kriegt schnell 'nen Knick in der Birne, wenn man drüber nachdenkt.

Auf östlicher Seite wird rund um die genannten Orte bzw. weiter "freundwärts" das Benutzen der Wanderwege für Menschen ohne entsprechende Genehmigungen sicherlich stark reglementiert gewesen sein. Mir ist diesbezüglich nur eine offizielle DDR-Anweisung für die große Masse der "normalen" Harzurlauber bekannt, die besagte, man solle sich fürs Wandern doch bitte ausschließlich auf den frei zugänglichen Teil des östlichen Harzes beschränken. Ich stelle mir das schwierig vor, in einem so großen Waldgebiet zusätzlich zur eigentlichen Grenze jeden potentiell kritischen Pfad abzusperren oder wenigstens mit Warnungen zu versehen. Oder war der Hinterlandzaun(?), von dem in Museen manchmal die Rede ist, konsequent undurchlässig und lückenlos?

War der Bereich, in dem man sich gerade noch bewegen durfte (egal ob man nun ständig mit Kontrollen rechnen musste oder nicht), dort auf quasi jedem Wanderweg markiert? Standen dort dann überall Schilder, daß man sich mit dem nächsten Schritt im Sperrgebiet befindet, oder gar der besagte Zaun? Ich weiß, daß solche Hinweise z.B. rund um Schierke recht häufig vorzufinden waren und die "Sackgassen" der Wanderwege auszeichneten. Aber ab Wernigerode, Darlingerode oder Ilsenburg auch schon?

Ich hoffe, Ihr seht mir (in den Ohren ehemaliger Grenztruppen) etwaig naiv klingende Fragen nach. Aber ich bin damals natürlich nicht mal auch nur in die Nähe solcher Orte gekommen. Ich kann mir auch bis heute nicht vorstellen, daß ich das selbst als Erwachsener jemals versucht hätte. Einzig in Berlin hab ich als Kind aus dem Zug, der ab Lichtenberg mit verriegelten Türen und mit einem Affenzahn über diese grenznahe Trasse heizte, mal einen kurzen Blick auf sowas wie Sperranlagen, Spanische Reiter und Beobachtungstürme erhaschen können. Daß ich in den 80ern vom Berliner Fernsehturm "ungehindert" nach Kreuzberg, Schöneberg und Tiergarten schauen konnte, hat mich als 10jähriger, der im Tal der Ahnungslosen aufwuchs, regelrecht aufgekratzt hinterlassen. Das waren für mich Welten wie von einem anderen Stern. Damals wahrscheinlich wegen der Faszination des westlichen "Glitzers". In heutiger Retrospektive fasziniert mich daran allerdings sehr viel stärker diese Nähe und diese Parallelität zweier Gesellschaften sehr unterschiedlicher Prägung und Entwicklung, die manchmal aber nicht weiter voneinander entfernt sein konnten.

Diese Orte des Zeitgeschehens direkt an der Grenze sind - sicherlich anders als für betroffene Zeitzeugen - in ihrem Kontrast zum normalen Leben im Hinterland (wahrscheinlich auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs und solang man zumindest als Westler da nicht freiwillig zum täglichen Gucken hinmarschierte und vorallem angesichts der politischen Entwicklung) an menschlicher und gesellschaftlicher Absurdität in meinen Augen manchmal kaum zu überbieten, siehe "Jochen und die Bratwurst". Vermutlich stellten sie für Angehörige der Streitkräfte in ihrem Status Quo und der besagten geopolitischen Mächtelogik eine alltägliche Normalität dar. Es fällt schwer, sich heute vorzustellen, diese Nahtstellen als gang und gäbe anzusehen. Ich geb zu, daß all das schon früher einen starken Reiz auf mich ausübte und sich bis heute in einem intensiv gesteigerten Interesse an den historischen Zuständen, besonders für den Alltag der involvierten Personen, zivil wie militärisch, ausdrückt.

Grüße,
Mac

29.06.2021 11:55von 02_24
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Hi, viele Fragen. Wichtig ist, diese im zeitlichen Kontext zu stellen/zu beantworten.

Ich konnte zB Mitte der 80er schon ohne Passierschein nach Ilsenburg (bis Ortsrand Richtung Abbenrode), nach Benneckenstein, nach Tanne - das soll wohl noch wenige Jahre davor anders gewesen sein.

Nach zB Schierke, Elend, Stapelburg und so brauchte ich dann im gleichen Zeitraum schon nen Passierschein.

29.06.2021 14:14von ( gelöscht )
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29.06.2021 15:20von Stevenicks
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Hallo Mac, ich mochte Ihre Fragen zur Grenze im Harz und zur DDR-Grenze.Ich war ein britischer Soldat und besuchte diese Gegend viele Male.Ich stand oft am Torfhaus und aß eine Bratwurst und schaute auf das Dorf Schierke herab.Mit hochleistungsstarkem Fernglas konnte man sogar Trabant-Fahrzeuge auf der Hauptstraße sehen.Ich war sehr neugierig, wie das Leben war wie ihr, aber Besuch war nie eine Option bis zur überraschenden Vereinigung.Später besuchte ich Schierke,Eland, Wernigerode, Abbenrode, Sorge etc. Der Grund, warum ich diesem Forum beigetreten bin, war, mehr Informationen, Wissen und persönliche Erfahrungen über die DDR-Grenztruppen zu erhalten.

A great forum... enjoy.

29.06.2021 16:42von ( gelöscht )
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"Ich stelle mir das schwierig vor, in einem so großen Waldgebiet zusätzlich zur eigentlichen Grenze jeden potentiell kritischen Pfad abzusperren oder wenigstens mit Warnungen zu versehen. "
Wieso? 1. Zaunbau war schwieriger, hat aber stattgefunden. Übrigens: Auch jetzt ist noch jeder Truppenübungsplatz eng genug beschildert, damit man nicht aus Versehen rein marschiert. So wars an der Grenze halt auch.
"Auf meinen vielen heutigen Touren ab Wernigerode oder Ilsenburg hab ich mich aber schon oft gefragt, wie weit man als quasi "Normalsterblicher" damals gehen durfte oder vielmehr konnte. " offiziell bis Rand Sperrzone, aber natürlich wurde man schon vorher regelmäßig kontrolliert und nach dem Woher und Wohin befragt und auch mal weggeschickt.
"War die heutige Brockenbahn ab Wernigerode für Touristen bis Schierke oder zumindest bis Drei Annen Hohne benutzbar? "
Nix Brockenbahn, Harzquerbahn! und da bin ich mit 18 und einem Kumpel 1982 problemlos ausgestiegen und dann zu Fuß nach Elbingerode auf den Zeltplatz gelaufen. Zuvor 3x von der Trapo im Zug kontrolliert, dann nochmal am Bahnhof und auf der Straße nochmal. Also zurück sind wir anders gefahren!

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30.06.2021 07:07von ( gelöscht )
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30.06.2021 11:00von Sonne
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War 1966 im harz auf der GK Rothesütte im Einsatz.
Wir Grenzer wurden zum Ausgang mit dem LO gefahren und 23.00 Uhr wieder abgeholt.( wenig Vertrauen)

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