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Der Rentertunnel unter dem Todesstreifen der Berliner Mauer



Mut ist keine Frage des Alters: "Ich wollte meinen Lebensabend in Freiheit beschließen. Nicht einmal begraben möchte ich drüben sein", sagt der frühere Kleinunternehmer Max Thomas Mitte Mai 1962 dem Reporter der West-Berliner Abendzeitung "Kurier". Er ist 81 Jahre alt - und der Initiator der vielleicht ungewöhnlichsten Massenflucht aus der DDR in die Freiheit.
Zusammen mit fünf Männern, von denen keiner jünger war als 55 Jahre, fünf Frauen zwischen 46 und 68 Jahren sowie einem Jugendlichen hat Thomas einen 32 Meter langen Tunnel unter dem Todesstreifen hindurch gegraben. Bis zu 1,75 Meter ist der Stollen hoch, bei einer Breite von 80 Zentimetern. Anders als bei allen anderen Fluchtstollen von Berlin konnten die Flüchtlinge durch den "Rentnertunnel" aufrecht gehen.Auf die Idee gebracht hatte Max Thomas die erfolgreiche Tunnelflucht seiner Nachbarn an der Oranienburger Chaussee zwischen Glienicke und dem West-Berliner Ortsteil Frohnau, der Familie Becker. Im Januar 1962 hatten insgesamt 28 DDR-Bürger durch diesen Stollen die Freiheit erreicht. Doch mehrere weitere Fluchtwillige hatten die Brüder Becker nicht mitnehmen wollen, darunter auch das Ehepaar Thomas. Die Tunnelgräber fürchteten, "dass die alten Leute den körperlichen Anstrengungen nicht gewachsen wären", die das Kriechen durch einen Stollen von kaum 80 Zentimetern Durchmesser mit sich brachte.
16 Tage lang gegraben
Max Thomas tritt den Gegenbeweis an. Anfang April beginnt der Rentner mit einem eigenen Fluchttunnel. Zuerst sägt er im Wohnzimmer seines nur teilweise unterkellerten Hauses ein Loch in den Holzfußboden und durchbricht das Fundament. Aber der zähe Lehmboden bietet zu viel Widerstand. Also macht sich Thomas auf die Suche nach einem besseren Ausgangspunkt. Er prüft die Bodenverhältnisse auf seinem Grundstück, indem er eine kleine Tanne mehrfach umpflanzt - unter den Augen der DDR-Grenzposten. Dicht am Hühnerstall stößt er auf Sandboden: die richtige Stelle. Eigenhändig beginnt er am 20. April 1962 in dem Stall zu graben.
Inzwischen hat Thomas auch den richtigen Helfer: Mehrere Bekannte, die ebenfalls aus der DDR heraus wollen, darunter ein 57-jähriger Mann, der in seinem Betrieb in Ungnade gefallen ist und sich nun beim Ehepaar Thomas versteckt. Als Werkzeug benutzen sie "Pickel, Spaten, Schaufeln und ein altes Seitengewehr aus dem Ersten Weltkrieg". Wegen der Bodenverhältnisse können die Tunnelgräber auf das Aussteifen des Stollens mit Holz verzichten; sie beschmieren nur die Decke mit reichlich Lehm, damit nicht loser Sand herabbröselt.
16 Tage brauchen die Senioren bei täglich 10 bis 14 Stunden Arbeit; rund 4000 Eimer Sand holen sie aus dem Gang heraus, den sie zu einem 25 Meter entfernten früheren Pferdestall schleppen und mit Stroh und Heu tarnen. Immer besteht die Gefahr, dass DDR-Grenzer aufmerksam werden, liegt doch das Haus der Familie Thomas unmittelbar am Todesstreifen. Patrouillierende Polizisten und neugierige Nachbarn lenkt der Hausherr geschickt ab, beklagt sich über verstopfte Abwasserleitungen, weshalb er neue Rohre verlegen lassen müsse. Außerdem hat er sich ein cleveres Warnsystem einfallen lassen: Nähert sich eine Polizeistreife, schaltet eine Wache am Fenster des Hauses Thomas das Licht im Tunnel aus, und sofort stellen die "Maulwürfe" drei Meter tief in der Erde das Buddeln ein.
Am Abend des 5. Mai 1962 ist es so weit: Max Thomas und seine Mitgräber stoßen jenseits des Todesstreifens durch den Boden nach oben. Sie kommen zwar noch auf DDR-Gebiet heraus, aber auf westlicher Seite des alten Lattenzaunes, der hier schon vor dem Mauerbau die Grenzlinie zwischen dem französischen Sektor Berlins und der DDR markiert hat. Noch vor Mitternacht sind alle zwölf Flüchtlinge sicher im französischen Sektor angelangt.
Zwei Tage später bemerken die DDR-Grenzer die "Republikflucht". Am 7. Mai 1962 gegen 14 Uhr meldet "der Genosse Major Völker, z. Zt. Leiter der Grenzaufklärung Berlin", die Entdeckung eines Stollens, nachdem eine erste detaillierte Meldung von den Grenztruppen eingegangen ist. Eine Untermieterin des Ehepaars Thomas hat dem Bürgermeister gemeldet, dass sie seit Sonntag die gesamte Familie nicht mehr gesehen habe. Der SED-Mann sucht daraufhin mit seinem Stellvertreter das Anwesen auf, findet die Wohnung verlassen vor und entdeckt nach längerem Suchen im Hühnerstall den Tunneleinstieg. Sofort alarmiert er die nächste Grenzstreife, die das Ministerium für Staatssicherheit einschaltet.
Nach der ersten Inspektion des Stollens konstatieren die Grenzer, dass dieser Stollen "nach eingehender Besichtigung" von Ost nach West angelegt wurde, was "Schürfspuren" bestätigen. In ihrem Bericht heißt es: "Aus der gesamten Anlage des Stollens ist zu erkennen, dass an diesem Objekt in einem längeren Zeitraum in Ruhe und mit großer Ausdauer gearbeitet wurde. Der Einstieg des Stollens liegt zu ebener Erde und geht vertikal etwa drei Meter tief in die Erde." Im Tunnel finden die Stasi-Männer fünf elektrische Glühbirnen, zur Beleuchtung und für das Alarmsystem. Auch das Versteck des Erdhaushubs wird schnell entdeckt: Die Sandmassen lagern in zwei Schuppen, "durch alte Säcke und Decken, worauf wiederum Heu gestreut wurde, getarnt".
Stasi kritisiert die Grenztruppen
Kritisch vermerken die MfS-Ermittler: "Das Anlegen des Stollens ist unbeobachtet möglich gewesen, da das Gebäude durch eine Ziegelmauer und einen Zaun mit Hecken eingefriedet und von außen nicht ohne Weiteres einsehbar ist." Stasi-Major Völker lässt in seinem Bericht an Erich Mielkes Stellvertreter Generalmajor Bruno Beater kein gutes Haar an den Grenztruppen. Aus der Tunnelflucht der Familie Becker seien nicht "die notwendigen Schlussfolgerungen gezogen" worden. Eine für den 18. April 1962 angesetzte Kontrolle des Wohnhauses der Familie Thomas sei nicht durchgeführt worden, da das Ehepaar nicht angetroffen worden sei. Major Völker schließt daraus, dass "durch die ungenügende Koordinierung aller Linien nach Feststellung des Tunnels die Einleitung Erfolg versprechender operativer Maßnahmen durch die Vielzahl der anwesenden Kommissionen nicht mehr möglich gewesen" sei. Völker empfiehlt die "sofortige straffe Organisation und Durchführung der Grenzbegehung" - natürlich "unter Leitung des MfS".
Wenige Tage später erfährt die Öffentlichkeit von der spektakulären Flucht durch den "Rentnertunnel". Als erstes Blatt berichtet der "Kurier" am 18. Mai 1962. Es ist eine schwere psychologische Niederlage für die DDR: Selbst Menschen im Rentenalter sind bereit, ihr Leben zu riskieren, um dem "Arbeiter-und-Bauern-Paradies" zu entkommen.
Von den Autoren ist soeben das Buch "Die Fluchttunnel von Berlin" (Propyläen Verlag, 19,90 Euro) erschienen. In der kommenden Woche beschreiben sie in der Berliner Morgenpost die letzte erfolgreiche Tunnelflucht.
Von Dietmar Arnold und Sven Felix Kellerhoff
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