Ein Fluchtversuch, der keiner war...

18.10.2016 13:27
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Eine kleine Geschichte am Rande.
"Dann fahr'n wir eben nach Berlin." Zugegeben, es war mein Vorschlag an 3 meiner Mitschüler der Berufsschule Leuna, welche sich im Juli 1987 nach 2-jähriger Berufsausbildung und erfolgreichem Abschluss für eine gemeinsame Abschlussfahrt entschlossen hatten.

Wir wollten ein bischen Party machen, uns (Ost-)Berlin anschauen, mal raus aus der Provinz.
Da wir noch offiziell Lehrlinge waren, die Facharbeiterzeugnisse sollte es in der darauf folgenden
Woche geben, beantragten wir bei unserem Lehrmeister 2 Tage Urlaub, Freitag und Montag.

Und so saßen wir alle 4 am Freitag, den 10-Juli 1987, im Zug von Leuna Richtung Schönefeld. Natürlich hatten wir die entsprechenden Spirituosen dabei und kamen schon nicht mehr ganz nüchtern in Berlin an. Nachdem wir über den Alex geschlendert waren liefen wir Richtung Brandenburger Tor, was wir natürlich als Pflichtbesuch ansahen. Schließlich konnte man nur dort mal in den unerreichbaren Westen schauen, ohne gleich Aufmerksamkeit zu erregen.
Auch die Friedrichstraße und ferner die Marschallbrücke war eines unserer Ziele, von der man durch Ritzen in den Sichtblenden die Spree und das Reichstagsufer sehen konnte. Alles super spannend für uns, wie gesagt, wir kamen ja schließlich aus der Provinz.

Leider hatten wir keine Möglichkeit, uns ein Hotelzimmer zu mieten und so entschlossen wir uns, im Plänterwald auf den Parkbänken zu übernachten, wo uns trotz Blut im Alkohol unzählige Mücken peinigten. An Schlaf war nicht zu denken.
Am nächsten Tag, Samstag den 11.Juli 1987, setzten wir unsere (Sauf-) Tour durch Ostberlin fort.

Am frühen Abend machte einer meiner Mitgesellen den Vorschlag, eine Disco zu besuchen.
Allerdings wußte niemand von uns, wo eine war. "Lasst uns eine suchen" sagte er. Aber das war zu viel für mich. Wir waren ja schließlich schon den zweiten Tag unterweges, meine Füße begannen so langsam zu erlahmen. Da einer meiner Freunde ebenso wenig begeistert war, noch länger herum zu laufen, trennten wir uns schließlich in zwei Gruppen. Die einen suchten eine Disco, mein Kumpel und ich verzogen uns in eine Bar am Alex.
Vorher hatten wir uns abgesprochen, daß wir uns nachts zwischen 1 Uhr und 4 Uhr im Bahnhof Schönefeld treffen, um dort in einem der Ruheräume oder auf einer Bank zu übernachten.

Es muss so gegen 11 Uhr abend gewesen sein, als wir schwankend aus der Bar stürzten und zur
S-Bahn liefen. Dort stiegen wir in eine S-Bahn Richtung Schönefeld ein. Nach kurzer Zeit musste ich dringend zur Toilette. Allerdings war da keine im Zug und so stiegen wir wiederum am Plänterwald aus, um uns zu entleeren. Aber auch am Bahnhof gab es keine Toiletten. So mussten wir uns eben ausserhalb ein Plätzchen suchen.
Wie auch immer, irgendwie fielen uns im Hintergrund die hell erleuchteten Westberliner Hochhäuser auf und so entschlossen wir uns, mal näher zu gucken.Und so kamen wir zur nahe gelegenen Kiefholzstraße. Dort befand sich an der Seite Richtung Mauer eine Gartenanlage, welche
schon im Grenzgebiet lag. Wir stoppten direkt am Gartenzaun mit einem Schild "Grenzgebiet, Betreten verboten". Wir wären beide nie auf die Idee gekommen, über den halbhohen Gartenzaun zu klettern, schließlich waren wir ja keine Einbrecher. Schon dieser Gedanke hielt uns zurück.

Wir hatten wohl gerade eine Fluppe angezündet, da standen sage und schreibe mindestens 10 Leute hinter uns, teils uniformiert, teils in zivil. Mit unserem Alkoholpegel hatten wir nicht bemerkt, daß die wohl aus sämtlichen Löchern und Hauseingängen gekrochen waren.
"Personenkontrolle, Ihre Ausweise bitte" rief der eine, worauf wir uns sofort auf den Boden legen mussten. Arme und Beine ausgestreckt, ab sofort keine Unterhaltung mehr mit meinem Kameraden.

Wir wussten nicht, ob wir lachen oder heulen sollten.Schließlich waren wir ja unschuldig und hatten nichts verbrochen.Andererseits war uns natürlich recht schnell klar, daß das wohl schlecht ausgehen könnte für uns, wenn wir als Grenzverletzter oder fluchtverdächtig beschuldigt werden. Und mein später geplantes Fachschulstudium konnte ich dann auch in den Wind schreiben.
Natürlich, wenn sich in dieser Nacht mit einem Blitz die Mauer vor uns geöffnet hätte, so wie bei Moses das Meer geteilt wurde, dann wäre ich durchgelaufen. Aber so? In unserem alkoholisierten Zustand wären wir nicht mal mit ner Räuberleiter über die Mauer gekommen und hätten uns wohl den Hals gebrochen, noch bevor geschossen wird.

Nach kurzer Zeit kam ein Polizei-Lada mit 3 jungen, entspannten VoPos. Dort mussten wir beide einsteigen und los ging die Fahrt. Man sagte uns nicht, wohin wir gebracht werden. Zwischendurch bekam ich dann schon etwas Panik, da das Auto nur durch dunkle Gassen, Gartenanlagen und Seitenstraßen fuhr, Was werden die jetzt mit uns machen? Irgendwo im Dunkeln anhalten und uns erschießen? Ehrlich, solche Gedanke kamen mir.
Nach etwa 20 min Fahrt kamen wir jedoch wieder in "bewohntes" Gebiet und hielten an einem Polizeirevier. Dort wurden wir einzeln durchsucht. Die VoPos waren fair und nicht besonders unfreundlich, so habe ich es zumindest in Erinnerung.
Danach wurden wir in ein anderes Polizeirevier gefahren. Dort mussten wir, getrennt, in einem Flur Platz nehmen und warten. So langsam fiel unser Alkoholpegel.

Gegen halb vier Uhr morgens wurde ich dann als erster zum Verhör gerufen. Vor mir saß ein (angeblicher) Kripo-Mann, könnte natürlich auch Stasi gewesen sein. Der fragte mich von A-Z aus und immer wieder "Wollten Sie nach Westberlin flüchten?"."Nein, Nein, Nein, wir haben uns nur verlaufen." Später stellte er dann die These auf, daß wir 4 uns getrennt hätten, um an verschiedenen Stellen die Mauer zu überwinden, um uns danach in Westberlin zu treffen. Dieser Mann hatte echt eine blühende, aber auch gefährliche Phantasie.
Was ich in diesem Moment nicht wußte war, daß man schon meine Eltern kontaktiert und befragt hatte, ob sie wüßten, wo ich bin. Ebenso wurde mitten in der Nacht unser Lehrmeister aus dem Schlaf gerissen und ebenfalls befragt (Was er mir später vorwarf). Glücklicherweise hatten wir es ja allen erzählt, daß wir übers Wochenende nach Berlin fahren.

Nach knapp 3 Stunden war das Verhör beendet, nachdem der angebliche Kripo-Mann in meinem Beisein die Stasi anrief, ob sie Interesse an mir hätten. Und angeblich haben sie NEIN gesagt.
Ob der Anruf gefakt war, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall war ich froh über so viel Desinteresse.

Nach meinem Verhör wurde dann mein Kollege befragt, allerdings kam er nach ca. 20 min schon wieder zurück. Das kam mir komisch vor, weils so schnell ging. Hatte er vielleicht irgend etwas mit der Stasi zu tun? Das habe ich mich hinterher öfter gefragt.

Auf jeden Fall wurden wir Sonntag morgen gegen 10 Uhr durch eine Gittertür in die "Freiheit" entlassen. Ohne Worte, es hätte nur noch ein Tritt in unsere Hintern gefehlt.
Erst liefen wir stumm ein paar Meter und fielen uns danach in die Arme. Die hatten uns wirklich gehen lassen, wo wir doch mit dem Schlimmsten gerechnet hatten. Zumindest hatte ich erwartet, daß man uns ein paar Tage oder Wochen festsetzt, bis die Angelegenheit endgültig geklärt ist.

Am Ende hatte dieser Vorfall keinerlei Konsequenzen für mich und den anderen. Es hätte aber auch schlimmer ausgehen können.Man hätte uns einen Strick drehen können daraus, wenn man gewollt hätte. Aber zum Glück sprach alles für uns.

Und gut 2 Jahre später im November 1989 stehe ich vor der Mauer, den Reichstag im Rücken, mit Blick auf die Spree und die Marschall-Brücke...


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18.10.2016 16:29 (zuletzt bearbeitet: 18.10.2016 16:32)
#2
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Auch in Leuna gelernt, aber viel früher und ebenfalls privat organisierte Klassenfahrt nach Berlin. Allerdings hatten wir nicht vor, ein Saufgelage zu veranstalten. Im Herbst des 2. Lehrjahres (1965) waren wir zum Kartoffeleinsatz zwei Wochen in dem kleinen Dorf Kleinow (Meck.-Pom). Zufälligerweise war dort auch eine Mädchenklasse 1. Lehrjahr (Näherinnen) aus Berlin im Einsatz. Natürlich hatte sich ein frohes Jugendleben entwickelt. Einer von ist dann wohl später mit einer von den Mädchen fest gegangen. Ich hatte auch eine, die ich danach noch ein paar Mal besuchte, aber das ging dann auseinander. Bis zum Brandenburger Tor sind wir auch, allerdings keine irgendwelcher Art Probleme mit den Staatsorganen. Die hatte ich später, nach der Grenzerzeit. Es ging allerdings nicht so weit, daß ich auf´ Revier geschleppt wurde, weil ich belegen konnte (auch wenn´s nur eine Ormig-Kopie war), daß icu einen grund dazu hatte, in Räuberzivil auf dem Bahnhof Nordhausen zu nächtigen. Gut, ich hatte die Trapo´s auch bewußt provoziert, daß sie auf mich aufmerksam wurden und mich dann befragten. Hatte das schon mal vor einiger Zeit geschildert.
Einer von uns wetterte immer wie ein Rohrspatz über die Mauer und redete was von Unmenschlichkeit, daß er nicht rüber kann. Wir vermuteten alle, daß sein Vater einer dieser Grenzgänger war und der sich dann seit August 61 redlich wie alle Anderen ernähren mußte. Arbeiten in WB und mit dem Geld in Ostberlin leben in Saus und Braus und alle Subventionen mitnehmen.


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18.10.2016 16:40 (zuletzt bearbeitet: 18.10.2016 16:40)
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In Westberlin arbeiten, und im Osten leben. Das hätte mir auch gefallen.Übrigens gab es für solche Grenzgänger nicht immer nur finanzielle Gründe, das zu tun. Meine Tante z.B. war der Liebe wegen von Ost nach Westberlin gezogen (in den 50er Jahren), und arbeitete anfangs noch weiterhin bei der Ostberliner Post. Auf Grund stetig wachsender Schikane durch Vorgesetzte, einschließlich der Forderung, wieder in den Osten zu ziehen, ging Sie schließlich ganz nach WB:


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19.10.2016 04:47
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#4
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Zitat von pee im Beitrag #1
Vorher hatten wir uns abgesprochen, daß wir uns nachts zwischen 1 Uhr und 4 Uhr im Bahnhof Schönefeld treffen, um dort in einem der Ruheräume oder auf einer Bank zu übernachten.


Dort gab es damals eine Imbissbude mit der berühmten Griletta. War richtig lecker und die Schlangen waren oft selbst um 3 Uhr morgens lang. Ein beliebter Treffpunkt für alle die die letzte Bahn verpassten oder auf die erste warteten.


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19.10.2016 13:45
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#5
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Zitat von Major Tom im Beitrag #4
Zitat von pee im Beitrag #1
Vorher hatten wir uns abgesprochen, daß wir uns nachts zwischen 1 Uhr und 4 Uhr im Bahnhof Schönefeld treffen, um dort in einem der Ruheräume oder auf einer Bank zu übernachten.


Dort gab es damals eine Imbissbude mit der berühmten Griletta. War richtig lecker und die Schlangen waren oft selbst um 3 Uhr morgens lang. Ein beliebter Treffpunkt für alle die die letzte Bahn verpassten oder auf die erste warteten.


Stimmt, ich erinnere mich dunkel. Einige Geschäfte hatten auch nachts offen, das war ja eher ungewöhnlich.


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