Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein

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05.05.2016 11:42 (zuletzt bearbeitet: 05.05.2016 11:46)
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ABV

Hallo Freunde!
Ich bin gerade dabei,im Auftrag des Ortsvorstehers, eine Chronik meines Wohnortes zu erarbeiten. Von 1945 bis in die Gegenwart. Das bedeutet intensive Recherchen im Kreisarchiv, aber auch die Führung interssanter Zeitzeugengespräche. Aus diesem Grund habe ich mich in letzter Zeit so rar gemacht. . Aber mir fehlt wirklich die Zeit. Zumal mein Dienst ebenfalls nicht vernachlässigt werden darf.
Dieses Zeitzeugengespräch möchte ich euch nicht vorenthalten, weil ich denke das es gut zu den Themen unseres Forums passt. Die ausdrückliche Genehmigung zur Veröffentlichung liegt mir übrigens vor.

Viele Grüße an alle und einen schönen Herrentag
euer Uwe

Bild entfernt (keine Rechte)]
Karl-Heinz Henschel aus Küstrin-Kietz kann mit seinen mittlerweile neunzig Jahren auf ein wahrhaft bewegtes Leben zurückblicken. Noch in der Endphase des Zweiten Weltkriegs unfreiwillig zur Waffen-SS eingezogen, nimmt er als achtzehnjähriger unfertiger junger Mensch an blutigen Kämpfen in Russland, Frankreich und den Niederlanden teil. Dabei wird er immer wieder mit traumatischen Erlebnissen konfrontiert, die er sein ganzes langes Leben nicht vergessen konnte. 1946 aus englischer Kriegsgefangenschaft nach Küstrin-Kietz heimgekehrt, beteiligte er sich zunächst aktiv beim Wiederaufbau seines in Trümmern liegenden Heimatortes. Zunächst als Zöllner tätig, wurde er Anfang der Fünfziger Jahre angesprochen, ob er nicht als Lehrer arbeiten wollte. Karl-Heinz Henschel nahm die neue berufliche Herausforderung begeistert an. Dabei verheimlichte er jedoch, wie bereits bei der Anstellung beim Zoll, seine einstige Zugehörigkeit zur Waffen-SS. Wohlwissend, dass ihm diese wenn auch nur kurze, alles andere als freiwillige Zugehörigkeit, diese und andere berufliche Entwicklungschancen bereits im Ansatz verwehrt hätte. 1955 kam die Bezirksverwaltung des MfS in Frankfurt (Oder) hinter das wohlgehütete Geheimnis. Unter dem Vorwand der “ Spionage gegen die DDR“ auf einem Weiterbildungslehrgang in Leipzig von der Staatssicherheit verhaftet, wurde er zunächst in die MfS-Bezirksverwaltung nach Frankfurt ( Oder) verbracht. Nach endlosen zermürbenden Verhören lies die Staatssicherheit den Spionagevorwurf zwar fallen, konfrontierte ihn jedoch gleichzeitig mit dem Wissen über seine SS-Vergangenheit und den zweifachen Anstellungsbetrug. Zum ersten Mal berichtete Karl-Heinz Henschel für die Öffentlichkeit bestimmt, über eine der schwierigsten Phasen seines Lebens. Die obwohl im Detail nicht bekannt, bereits seit längerem in Küstrin-Kietz die Gerüchteküche brodeln lässt. Möge diese Niederschrift dazu beitragen, Herrn Henschel Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Wer leichtfertig über diesen Mann den Stab bricht, sollte sich ehrlich fragen, wie er an seiner Stelle gehandelt hätte!



Es war an einem Montag, um den 25. April 1955. Als es gerade zur großen Pause läutete, als die Klassentür aufging und der Sekretär der Schule in Leipzig, an der ich mich zu diesem Zeitpunkt zur Weiterbildung befand, hereinkam, und „ Kollege Henschel, zum Direktor“ rief.

Ich bekam einen riesigen Schreck, denn meine Frau war gerade im fünften Monat schwanger. Schließlich konnte ihr ja etwas passiert sein. Wir gingen dann zum Direktor, der Sekretär begab sich ins Büro. Als ich ihm hinein folgte, wurde hinter mir die Tür zugeschlagen. Ich drehte mich um, da stand vor der Tür eine männliche Person, welche einen braunen Ledermantel trug. Eine Hand hielt die Person in der Manteltasche verborgen, wahrscheinlich befand sich dort eine Pistole. Ich drehte mich zum Direktor um. Im selben Moment kam jemand, ebenfalls im braunen Ledermantel, auf mich zu.

Er fragte mich : „ Sind Sie Karl-Heinz Henschel?“ Nach meiner Antwort sagte er „ Staatssicherheit, Sie sind festgenommen!“ Darauf zog er Handschellen aus der Manteltasche hervor und legte sie mir an.

Dann wurde die Pause abgewartet. Es ging hinunter auf die Straße. Dort stand ein schwarzer PKW, Typ EMW. Mir wurde bedeutet auf der Rückbank Platz zu nehmen, während sich links und rechts von mir je ein Mitarbeiter der Staatssicherheit setzten.

Anschließend ging die Fahrt los. Ich versuchte an der Strecke festzustellen, wo man mich hinbringen wollte. Allmählich merkte ich, dass es Richtung Frankfurt (Oder) ging. Angekommen in Frankfurt, brachte man mich in ein großes Gebäude. Die Tore wurden hinter uns geschlossen und ich musste aussteigen.


Ich wurde in die Wache verbracht. Dort nahm man mir die Schnürsenkel, den Hosengürtel, das Portemonnaie und mein Taschenmesser ab.

Dann ging es in einen Nebenraum. Es handelte sich dabei um eine Zelle, in der ich die nächsten acht Tage verbrachte.

Von der Wache aus war ein kleines Sichtfenster, von dem man mich jederzeit beobachten konnte. Außerdem brannte in meiner Zelle die ganze Zeit das Licht.

Am nächsten Tag fand das erste Verhör statt. Dieses dauerte etwa zwei bis drei Stunden. Zum Verhör ging es die Treppen hinauf. An den Seiten der Treppe befanden sich hohe Gitter, um eventuelles Überspringen und damit Selbstmorde der Gefangenen, zu verhindern.

In der Mitte des Raums stand ein am Fußboden festgeschraubter Eisenhocker, auf dem sich eine Holzplatte befand. Darauf musste ich mich hinsetzen. In einem Abstand von zwei Metern standen auf einem Schreibtisch zwei „ Fünfhundert-Watt-Lampen“. In dieses grelle Licht musste ich ständig hinein sehen. Dahinter war alles Schwarz, denn das Fenster war zugehängt.

Ich konnte nur beim Verhör hinter den Lampen, zwei Stimmen hören. Alles andere lag für mich im Dunkeln. Ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nicht, warum man mich festgenommen hatte.


Nach den ersten Fragen wusste ich dass es um Verbindungen nach Westberlin, also mit dem „ Westen“, ging. Was mich anfangs sehr beruhigte, da ich weder Verwandtschaft noch anderweitige Kontakte in Westberlin besaß.

So verliefen die Verhöre Tag für Tag. Mir wurden dabei immer wieder dieselben Fragen gestellt. Dazu wurde immer wieder dieselbe Drohung ausgestoßen: „ Sagen Sie die Wahrheit! Es ist besser für Sie!“

Aber ich hatte ja nichts zu verbergen! Allmählich schienen das auch die Vernehmer erkannt haben. Die Verhöre fanden zu unterschiedlichen Zeiten statt. Mal ganz früh am Morgen, dann wieder Mitten in der Nacht.

Einmal wurden die Vernehmungen völlig ausgesetzt. Da habe ich angestrengt über den Grund der Aussetzung nachgedacht. Für mich war das ein Tag zum Grübeln. Ich befürchtete, dass man mir etwas „ anhängen“ wollte. Oder dass die Staatssicherheit etwas für mich Belastendes gefunden hatte. In mir schwebte ständig der Gedanke, wenn du hier nicht mehr heraus kommst, dann siehst du deine Familie nicht mehr wieder und lernst deine Kinder niemals kennen.

Eines Tages wurde ich erneut zum Verhör geholt. Der Raum war nicht mehr verdunkelt, die Fünfhundert-Watt-Lampen waren nicht mehr da. Nur der Eisenhocker befand sich noch an derselben Stelle.

Dann begann folgende Diskussion: „ Herr Henschel, wir können ihnen nicht nachweisen, dass Sie Spionage für den Westen getrieben haben. Wir sind aber sehr interessiert, dass Sie mit uns zusammenarbeiten. Da gibt es mehrere Varianten: Wenn Sie Nein sagen, übergeben wir unsere Unterlagen den deutschen Gerichten. Und ihre Berufslaufbahn ist vorbei. Denn Sie haben zweimal beim Ausfüllen der Fragebögen, beim Eintritt beim Zoll und beim Schuldienst, nicht angegeben das Sie im Krieg bei der Waffen-SS waren. Damit haben Sie Urkundenfälschung begangen. Wir können unsere Unterlagen auch dem sowjetischen militärischen Abwehrdienst übergeben, denn Sie sind bereits nach einem Jahr englischer Gefangenschaft, als ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS, 1946, illegal in die Sowjetische Besatzungszone eingereist. Das würde dem militärischen Geheimdienst wahrscheinlich sehr interessieren. Herr Henschel und wenn die ihnen nicht Glauben, dann bedeutet das für Sie Sibirien.“

Daraufhin habe ich eine Bereitschaftserklärung unterschrieben. Danach brachte man mich mit einem PKW nach Hause.

Im Jahr 2000 habe ich einen Antrag in Frankfurt (Oder) auf Einsichtnahme in meine Stasi-Akten gestellt. Ich musste 150 DM bezahlen und bekam in einem Leseraum zwei dicke Aktenordner überreicht. Zunächst glaubte ich, dass die Vielzahl von Berichten nicht von mir selbst stammen kann. Als ich zu Lesen begann, stellte ich fest das es sich nicht um von mir abgegebene Berichte, sondern um von anderen über meine Person verfasste Berichte handelte.

Ich habe dann fast vier Stunden in den Unterlagen geblättert und gelesen. Dabei stellte sich heraus, dass ich insgesamt siebenunddreißig Jahre vom MfS überwacht worden bin. In diesen Akten lag auch meine damalige Bereitschaftserklärung, in der rechten unteren Ecke stand, mit handschriftlich, „ Faustpfand“. Das bedeutet aus dem „ Stasi-Jargon“ übersetzt, Erpressung.

Aus einigen Berichten konnte ich erkennen, wer diese Berichte konkret angefertigt hatte. Weil es sich um Fakten handelte, von denen lediglich bestimmte Personen Kenntnis besaßen. Aus dem Dorf Kietz erkannte ich allein sechs Personen.

Und nun zu meiner eigenen IM-Arbeit:

Ich war ein ganz unzuverlässiger Mitarbeiter! An mir haben sich sechs Führungsofiziere aufgerieben. Keiner von ihnen schaffte es, von mir einen fertigen Bericht zu bekommen. Ich hatte immer eine Ausrede parat.

Dann ist die Stasi mit mir zu folgender Arbeitsweise übergegangen:

Die Führungsoffiziere kamen zu mir nach Hause, haben mich befragt und darüber Protokoll geführt. Danach musste ich mir das Protokoll durchlesen und anschließend unterschreiben.

Noch einige Einzelheiten aus der Zusammenarbeit:

Die Stasi hatte im Bahnhofsgebäude von Kietz ein Büro. Dort sollte ich mich regelmäßig hinbegeben. Ich weigerte mich jedoch mit dem Argument „ Jeder Eisenbahner weiß das die Stasi im Bahnhof ein Büro hat. Somit wäre im Nu in Kietz bekannt geworden, dass ich für das MfS arbeite.“

Des Weiteren: Ich sollte in der Gaststätte Leute betrunken machen und sie im Anschluss gezielt ausfragen. Mein Argument gegen diese Vorgehensweise lautete: „ Ich bin kein Kneipengänger. Das würde also sofort auffallen.“

In Alt Tucheband war eine Stelle, wahrscheinlich von einem alten Kommunisten. Dort sollte ich mit meinem Motorrad hinkommen. Ich bin jedoch dort zu keinem Zeitpunkt erschienen.

Daraufhin kam der Führungsoffizier zu mir nach Hause, fragte warum ich nicht zum Treffpunkt gekommen bin. Ich sagte, dass mein Motorrad kaputt sei. Zum Beweis führte ich ihm mein Motorrad vor. Das Motorrad sprang tatsächlich nicht an. Es konnte auch nicht, denn ich hatte zuvor das Zündkabel gelockert.

Leider geschah am selben Tag noch folgendes: Ich habe natürlich mein Motorrad wieder „ flott gemacht“ und bin anschließend nach Seelow gefahren. In Seelow sah mich der Führungsoffizier herumfahren. Womit meine Lüge fast geplatzt wäre.

Mein Verhalten spiegelt sich auch in der abschließenden Beurteilung der MfS-Kreisdienststelle Seelow, von 1989, wieder. Darin steht unter anderem, „ Henschel ist unzuverlässig. Er lügt, seine Berichte sind kaum verwertbar. Mit Henschel muss gearbeitet werden.“ Diese Einschätzung wurde von sechs Führungsoffizieren unterschrieben.

Zum Abschluss noch folgendes: Ich bitte alle, die an meiner Stelle eine Zusammenarbeit mit dem MfS abgelehnt hätten, sich bei mir zu melden. Ich bin jederzeit zu einem Gespräch bereit.

Karl-Heinz Henschel

Protokolliert: Uwe Bräuning



Küstrin-Kietz den 04.05. 2016

Hier der Link zum Originalartikel https://kuestrinkietz.wordpress.com/

05.05.2016 12:03
avatar  ✝thomas 48 ( gelöscht )
#2
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✝thomas 48 ( gelöscht )

Sehr interessant.
Was sagt jetzt Alfred, Werner dazu.


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05.05.2016 12:15
avatar  der alte Grenzgänger ( gelöscht )
#3
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der alte Grenzgänger ( gelöscht )

Hat überhaupt jemals ein Ex- IM (jedenfalls von denen, die sich dazu bekennen / äußern) vernünftig mit der Firma zusammengearbeitet ?
Immer nur Widerstandskämpfer gewesen.. von 1955 bis 1989 .. nur die Episödchen mit dem Bahnhof, der Kneipe und dem Zündkabel ?
Schon klar ..

Siggi


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05.05.2016 12:30
avatar  ✝thomas 48 ( gelöscht )
#4
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✝thomas 48 ( gelöscht )

nein, waren alle unschuldig
tho.


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05.05.2016 17:25
avatar  Rainer-Maria Rohloff ( gelöscht )
#5
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Rainer-Maria Rohloff ( gelöscht )

Na nun macht mal den alten Herrn nicht so schlecht. Ich meine so bei mir, es ist alles gelebtes Leben. Man könnte ja nach dem Tod so ne Art Buch veröffentlichen wo man reinschreibt(sinngemäß jetzt)" Tut mir leid Willi aber ich musste dich damals verpfeifen weil, mir stand Hemd einfach besser wie der Rock"...oder so ähnlich.

Rainer-Maria


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05.05.2016 17:45
avatar  icke46
#6
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Ich habe zu dem Text mal zwei Fragen.

Die erste ist eine Verständnisfrage - in dem Text steht:

In Alt Tucheband war eine Stelle, wahrscheinlich von einem alten Kommunisten. Dort sollte ich mit meinem Motorrad hinkommen.

Das ist ein seltsamer Ausdruck "eine Stelle von einem alten Kommunisten". Das könnte sowohl ein Grab, ein Denkmal oder auch ein Wohnhaus bedeuten. Da wäre eine genauere Bezeichnung doch wünschenswert.

Und das zweite: Hat der Mann nach seiner Inhaftierung und Freilassung weiter als Lehrer gearbeitet?

Danke Informationen darüber.

Gruss

icke


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05.05.2016 18:35 (zuletzt bearbeitet: 05.05.2016 18:37)
avatar  andy ( gelöscht )
#7
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andy ( gelöscht )

Zitat von icke46 im Beitrag #6
Ich habe zu dem Text mal zwei Fragen.

Die erste ist eine Verständnisfrage - in dem Text steht:

In Alt Tucheband war eine Stelle, wahrscheinlich von einem alten Kommunisten. Dort sollte ich mit meinem Motorrad hinkommen.

Das ist ein seltsamer Ausdruck "eine Stelle von einem alten Kommunisten". Das könnte sowohl ein Grab, ein Denkmal oder auch ein Wohnhaus bedeuten. Da wäre eine genauere Bezeichnung doch wünschenswert.

Und das zweite: Hat der Mann nach seiner Inhaftierung und Freilassung weiter als Lehrer gearbeitet?

Danke Informationen darüber.

Gruss

icke




Ich schließe mich den Fragen von icke46 an.

Bei allem Respekt, aber so doll kann die Überwachung dann wohl nicht gewesen sein. 37 Jahre Überwachung in zwei Aktenordnern, auch wenn sie dick waren?
Was auch völlig fehlt ist eine Aussage über die Ausgangsinformation, die zu seiner Festnahme führte.

Die 50'er waren mglw. eine wilde Zeit, ich habe sie nicht kennen gelernt. In den 80'ern hätte ein solcher IM-Vorgang bei halbwegs vernünftigen Leitern keine Überlebenschance gehabt.

Und wenn er tatsächlich überwacht worden wäre, wäre er wohl nach den bisherigen Erfahrungen nicht mit 4 h lesen weggekommen, das Material wäre dann wohl etwas umfangreicher gewesen.

Ich rechne es dem hohen Alter des Mannes an und zur Verpflichtung, wenn es denn so gelaufen ist, gab es nach seiner Darstellung wohl keine Alternative.


andy


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05.05.2016 20:19 (zuletzt bearbeitet: 05.05.2016 20:27)
avatar  der alte Grenzgänger ( gelöscht )
#8
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der alte Grenzgänger ( gelöscht )

Zitat von ABV im Beitrag #1
.....
Daraufhin habe ich eine Bereitschaftserklärung unterschrieben. Danach brachte man mich mit einem PKW nach Hause.

Im Jahr 2000 habe ich einen Antrag in Frankfurt (Oder) auf Einsichtnahme in meine Stasi-Akten gestellt. ...


Dieses "gelebte Leben" dazwischen (als Lehrer ?) wäre das eigentlich interessante..

Siggi

(wenn jemand mit seiner Geschichte schon an die Öffentlichkeit geht, hat er damit wahrscheinlich auch kein Problem.. aber für mich ist das eine "gefälschte Bilanz"..so sehr ich den Wunsch nach "Bilanz" nachvollziehen kann ...)


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05.05.2016 20:25
avatar  Lutze
#9
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An seiner Stelle hätte ich mich in den Westen verdrückt,
auch wenn es seine Heimat dort ist,was wollte er denn
noch da
Lutze

wer kämpft kann verlieren,
wer nicht kämpft hat schon verloren


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06.05.2016 04:02
avatar  B208 ( gelöscht )
#10
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B208 ( gelöscht )

Moin ,

die Erinnerungen des Zeitzeugen werden in den meisten Beiträgen angezweifelt . Warum bestehen Zweifel , was könnte einen Menschen in dem hohen Alter dazu bewegen seine Geschichte zu erfinden .

B208


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06.05.2016 08:48
#11
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Ich bedanke mich zunächst einmal bei @ABV . Nicht für das Einstellen dieses Beitrages, sondern für dir Zeit, die er aufbringt, sich diesem Gespräch zu stellen. Es ist nicht nur ein Zeitzeugen - Gespräch, sondern ein Gespräch mit einem Menschen in der letzten Lebensphase, der sich etwas von der Seele redet, was ihn das ganze Leben begleitet hat. Zumindest erst einmal die wichtigsten Ereignisse, die nur einen Rahmen sein können.

Man kann in solch einer Situation nur Zuhören. Dieses Gespräch ohne Wertung wieder zu geben, dafür gebührt @ABV Anerkennung . Auch für die Verantwortung, die er damit übernimmt.

Moskwitschka


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06.05.2016 09:06 (zuletzt bearbeitet: 06.05.2016 09:07)
#12
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Ich sag mal, alle hier sind unschuldig, aber wollen keine Steine werfen.

Disziplin ist die Fähigkeit, dümmer zu erscheinen als der Chef. (Hanns Schwarz)


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06.05.2016 10:09
#13
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Tolles Engagement @ABV , das entschuldigt jegliche Abwesenheit vom Forum, solche Projekte können biologisch bedingt nicht mehr warten.
Personen zu finden, die eine solche Lebensbilanz offenlegen sind für die Aufarbeitung von Geschichte unverzichtbar, also solltest Du unbedingt dranbleiben.
Ich überlege gerade, was ich zu sagen hätte, z. B. damals als fertig ausgebildeter Facharbeiter ohne Not freiwillig in der FDJ eine Funktion übernommen zu haben.
Es war Dankbarkeit, Überzeugung und Rastlosigkeit die mich dazu bewegte, trotzdem weiß ich heute, daß der Sozialismus ohne Funktionäre besser funktioniert hätte, sie waren ein rotes Tuch für viele, die viel mehr zum Gelingen beigetragen hätten, wenn man sie nicht gegängelt hätte.
Alles war voller Mißverständnisse und vieles auch voller Mißtrauen wie Dein Report hier wieder einmal dokumentiert.
Dieses Land ist ein Glashaus und kaum jemand kann sich wohl in die Situation dieser Mehrfachopfer hinein versetzen, zumal Herr Henschel ja mit seiner Rückkehr in die Heimat eine Verbundenheit zum neuen System dokumentiert hatte, ohne zu ahnen mit was für Gegnern er es dort zu tun bekommen würde.
Diese Erpressungsszenarien hat es wohl bei der Stasi bis zuletzt gegeben, man kann das fast schon als Ablaßhandel bezeichnen, mit dem das System den Kollaps noch zu verhindern versuchte, aber irgendwann gab es zu dieser Strategie keine Korrekturmöglichkeit mehr, nämlich dann als die Wirtschaft nicht mehr mit der Effizienz der Spitzeltätigkeit mitzuhalten im Stande war, hier hätte man andere Prioritäten setzen müssen.
Ich befürchte fast, daß man damals mit Wehrmachtsakten genausolches Schindluder getrieben hat wie 40 Jahre später mit denen der Stasi, indem man politischen Konkurrenten um des Job im neuen System willen Biografiekomponenten angedichtet hat, die gar nicht real waren. bzw. in eine Täterrolle undeklariert wurden.

Viele leben zu sehr in der Vergangenheit.
Aber die Vergangenheit soll ein Sprungbrett sein und kein Sofa.


Der Hahn mag krähen, aber die Hennen legen die Eier.

(Margaret Thatcher)

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09.05.2016 16:09
avatar  ABV
#14
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ABV

Hallo Freunde!

Erstmal vielen Dank für eure Antworten. Mir steht es an dieser Stelle nicht zu, die von mir protokollierte Lebensbeichte des Herrn Henschel zu kommentieren. Das sich beim Lesen auch Widersprüche und Fragen ergeben, liegt in der Natur der Sache. Für mich ist es dennoch eine sehr interessante Zeitzeugenaussage. Trotz, oder gerade wegen der scheinbaren oder tatsächlichen Widersprüche.
Mir geht es aber noch um etwas anderes: Ist es nicht erschreckend, wie schnell ein Mensch, unter bestimmten Umständen, zum Spielball der jeweils herrschenden Mächte werden kann?
Wie anders wäre das Leben des Herrn Henschel verlaufen, wenn er Mitte 1944 nicht zur Waffen-SS, sondern in irgend eine x-beliebige Wehrmachtseinheit gekommen wäre? Er hätte ohne Probleme Lehrer in der DDR werden können. Ganz ohne " Fragebogenlüge". Und ohne dem jungen, wie jeder Geheimdienst nach Informanten Ausschau haltenden MfS einen Angriffspunkt zu bieten.
Beim Wühlen in der Vergangenheit bin ich auf ein noch viel krasseres Beispiel gestoßen: dem aus Reitwein im Oderbruch stammenden SS-Grenadier Siegfried Kuschke. Dieser wurde zur selben Zeit wie Henschel zur Waffen-SS gezogen. Kuschke verschlug es zur SS-Panzerdivision " Das Reich", welches unter dem Kommando von SS-Gruppenführer Heinz Lammerding stand.
Diese Truppe hinterließ im besetzten Frankreich, bei der Jagd nach Widerstandskämpfern, eine regelrechte Blutspur unter der Bevölkerung.
Besonders bekannt wurde dabei das Massaker von Oradour sur Glane. Dabei wurden, vorgeblich als Vergeltungsaktion wegen einer Attacke von Widerstandskämpfern, die männlichen Einwohner des Dorfes mit Maschinengewehren erschossen, während die Frauen und Kinder in die Dorfkirche getrieben und bei lebendigen Leib verbrannt wurden.
Ich hatte darüber schon einmal an anderer Stelle berichtet. Auch darüber, dass dieser SS-Grenadier Siegfried Kuschke bei der Aktion einen Brief seiner damals in Küstrin-Kietz, nur wenige hundert Meter von meinem jetzigen Zuhause lebenden Freundin neben den Leichenbergen verloren hatte.
Dieser Brief galt, auf Grund der darauf ersichtlichen Feldpostnummer, als erster Beweis für die Täterschaft dieser SS-Mördertruppe.
Damit wird jedoch für alle Zeiten der Name Siegfried Kuschke und der seiner Freundin, im Zusammenhang mit dem unfassbaren Verbrechen von Oradour stehen.
Ob die nichts ahnende Briefschreiberin je von ihrer zweifelhaften Bekanntheit erfahren hat, weiß ich nicht. Siegfried Kuschke gilt seit dem Sommer 1944 als verschollen. Wie mir sein gleichnamiger Neffe, der gleichzeitig mein Nachbar ist, hatte die Familie nach dem Kriegsende noch viele Jahre vergeblich auf dessen Heimkehr gewartet. Während der oben erwähnte Ex-SS-"Obermotz" Heinz Lammerding in der Bundesrepublik Karriere machen konnte. Ohne je für Oradour oder andere Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen zu werden. Lammerding wurde zwar von einem französischen Gericht, in Abwesenheit zum Tode verurteilt, aber nie ausgeliefert. Stattdessen wurde er von offizieller Stelle vor Reisen nach Frankreich gewarnt.
Ein Befehl aus dem Munde eines verbrecherischen Vorgesetzten konnte einen Soldaten sehr schnell zum Verbrecher machen. Da sind wir wieder bei dem " tief in sich hinein hören" angelangt. Bei der Frage, wie man sich selbst an Stelle eines Karl-Heinz Henschel oder Siegfried Kuschke verhalten hätte. Oder an der Stelle jener Grenztruppenkameraden, die damals an der Grenze auf Flüchtlinge geschossen haben.
Ich weiß, dieses Thema haben wir hier im Forum schon gefühlte Tausend Mal durchgekaut. Ohne je eine Antwort zu finden.
Trotzdem stellt sich diese Frage, beim " Wühlen in der Vergangenheit" immer wieder. Weil man immer auf neue Schicksale stößt.
Morgen früh geht es erstmal ins Kreisarchiv nach Seelow. Falls die BSTU den Forschungsauftrag bestätigt, dann wird es bestimmt auch für @Hackel39 interessant. Da geht es nämlich um den früheren Grenzbahnhof (Küstrin)-Kietz.

Gruß an alle
Uwe

09.05.2016 16:15
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#15
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ABV

Zitat von icke46 im Beitrag #6
Ich habe zu dem Text mal zwei Fragen.

Die erste ist eine Verständnisfrage - in dem Text steht:

In Alt Tucheband war eine Stelle, wahrscheinlich von einem alten Kommunisten. Dort sollte ich mit meinem Motorrad hinkommen.

Das ist ein seltsamer Ausdruck "eine Stelle von einem alten Kommunisten". Das könnte sowohl ein Grab, ein Denkmal oder auch ein Wohnhaus bedeuten. Da wäre eine genauere Bezeichnung doch wünschenswert.

Und das zweite: Hat der Mann nach seiner Inhaftierung und Freilassung weiter als Lehrer gearbeitet?

Danke Informationen darüber.

Gruss

icke



Mit Stelle war wohl eine " Konspirative Wohnung" gemeint. Ich habe seine Ausführungen wörtlich übernommen. Ja, der Mann hat bis zum Ende der DDR weiter als Lehrer gearbeitet und ist zur Wiedervereinigung in Rente gegangen.

Gruß Uwe

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