Sie nannten ihn Heino

16.09.2015 23:58
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Thüringerin ( gelöscht )

Er kann Geschichten erzählen. Viele Geschichten. Würde er ein Buch schreiben, so hätte es viele Seiten. Hätte er alle Fotos von damals noch … Aber er durfte sie natürlich nicht behalten. Er musste alle abgeben. Sicher wurden sie alle vernichtet, als er 1974 nach zehn Jahren Dienstzeit in ein Leben ohne Befehle, Grenzstreife, Uniform, Waffe und all dem, was zu seinem bisherigen Alltag gehörte, zurück ging.

Sie hatten ihn Heino genannt, die vom BGS auf der anderen Seite der ehemaligen Staatsgrenze. Kein Wunder – die Haare semmelblond, seitlich gescheitelt, markante Gesichtszüge, schlank, die dunkle Sonnenbrille – unverkennbar die Ähnlichkeit, da hat man schnell seinen Spitznamen weg. Wenn er mit seiner Kamera an der Grenze unterwegs war zwischen Holzhausen und Eishausen, dann wussten drüben alle bescheid: Aha, der Heino hat wieder Dienst. Nach so vielen Dienstjahren kannte man sich vom Gesicht her. Da flog auch mal eine Schachtel Zigaretten über´n Zaun oder ein paar Worte wurden gewechselt. Jetzt darf man das ja schreiben.

Einmal fragte einer von drüben: „Na? Heut wird wohl nicht fotografiert?“ Heino antwortete: „Nö, heut nicht. Gibt keine Filme.“ Tja, die üblichen Engpässe in der sozialistischen Planwirtschaft …

Irgendwann landete mal ein Hubschrauber auf der anderen Seite. Ein General war an Bord und begrüßte „Heino“ persönlich über den Zaun hinweg. Da hatte es sich also tatsächlich bis ins Hauptquartier des BGS herum gesprochen, dass es einen ostdeutschen Heino gab. Es wurden Filmaufnahmen gemacht. Der General sagte zu Heino, dass er am nächsten Tag im ZDF zu sehen wäre. Natürlich wurde am nächsten Tag West-Fernsehen geguckt, aber es kam nichts. Wer weiß, ob es tatsächlich Aufnahmen gab und wenn ja, ob diese überhaupt noch existieren in irgend einem Archiv der Bundeswehr oder des ZDF… Da fällt mir ein, dass ich bei einem Seminar mal einen vom Fernsehen kennen gelernt habe, vielleicht … hm – mal sehen.

1989 wurde die Grenze geöffnet. Angehörige von Heino fuhren von da an gelegentlich am Sonnabendvormittag nach Coburg. Den Opa, Heino´s Vater, nahmen sie immer mit in den „Westen“ und setzen ihn so lange im Gasthaus „Alter Fritz“ ab. Er brauche sich das alles nicht mehr anzugucken, wie er meinte, schließlich wäre er oft genug „drüben“ gewesen während seines Rentendaseins und „kenne sich aus“, er wolle lieber in der Wirtschaft sitzen und ein bisschen mit den Leuten rumlabern. Das tat er dann auch und wurde beizeiten an einem Stammtisch integriert, wo er erstmal im Mittelpunkt des Interesses stand. Er lud dann auch mal einen Herrn mit seiner Frau zu sich nachhause ein, eine Freundschaft bahnte sich an. Das Ehepaar kam dann gelegentlich zu Besuch und wurde schließlich sogar zum 50. Geburtstag des Schwiegersohnes eingeladen, zu dem natürlich auch Heino mit Familie eingeladen war.

Wie das Leben manchmal so spielt, saßen sich der Heino und der Herr vom Stammtisch aus dem Gasthaus „Alter Fritz“ in Coburg an der festlich gedeckten Kaffeetafel in der guten Stube zufällig gegenüber. Sie guckten sich an. Sie guckten sich sehr genau an. Ein Erkennen spiegelte sich gleichzeitig auf ihren Gesichtern wider. Sie konnten es fast nicht glauben: „Du bist doch der Heino!“ sagte der Herr vom Stammtisch, der ehemals beim BGS war. „Und ich kenn dich auch!“ sagte der Heino. Und dann wurde erstmal einer darauf getrunken.

Zufälle gibt es!|addpics|i3-1-31aa.jpg|/addpics|


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17.09.2015 00:26
#2
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Wieder eine interessante Geschichte, wie sie das "Wendeleben" mit Sicherheit nicht nur einmal geschrieben hat.

Wäre eigentlich mal schön zu erfahren, wer auch noch über solche Erlebnisse / Erfahrungen aus eigenem Erleben berichten könnte.

Euer Grenzfuchs ...

Wer mit dem Strom schwimmt, wird nie die Quelle sehen!

GT der DDR, 1972-1975, GKS Süd -> GR-10 "Ernst Grube", II. Bat. Göttengrün / 8.GK Juchhöh - Uffz. - FW. d. Res.


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17.09.2015 03:05
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B208 ( gelöscht )

ich kenn auch so eine Geschichte .

Beide Beteiligten hier im Forum !

Und dazu gibt es auch eine Filmdoku .

Kamera : exDieter1945
Hauptdarsteller : Zweedi .

B208


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17.09.2015 09:41
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#4
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Thüringerin, danke, toll geschrieben.

B 208, wie heißt die Doku?

MfG Berlin


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17.09.2015 10:32 (zuletzt bearbeitet: 17.09.2015 10:42)
avatar  turtle ( gelöscht )
#5
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turtle ( gelöscht )

Nach meiner Haftzeit musste ich mich 1x pro Woche bei unserem zuständigen ABV melden. Nach einigen Gesprächen meinte er ,ich bin nicht davon überzeugt das Du nicht wieder versuchen wirst die DDR illegal zu verlassen.(oder so ähnlich) Sie erwarten doch von mir keine Antwort darauf erwiderte ich. Nein nicht von Dir. Er duzte mich jedenfalls. Nun ja damals nach meinem 1.missglückten Fluchtversuch und Haft war ich gerade 19 Jahre. 1973 wurde ich amnestiert, und reiste nun als BRD Bürger nach Leipzig. Mir lief zufällig „mein ABV“ über den Weg, er blinzelte mir zu. Diese Geste sagte mir viel. Zwischendurch hatte ich wieder einmal einige Jahre Einreisesperre da ein IM mir einiges andichtete zum anderen war die Leipziger Damenwelt der ich nie widerstehen konnte mit Schuld. Fand ich doch in meinen Unterlagen „sucht gezielt Kontakt zu Frauen mit hwG“. Macht aus seiner negativen Einstellung zur DDR keinen Hehl und beeinflusst negativ. So ein Quatsch gezielt gesucht! Ich wurde als „Wessie“ erkannt und gezielt gesucht. Zurück zum ABV. Nach der Wende in der Ernst Thälmann Str." Knauth" schallte es über die Straße. Es war der nun ehemalige ABV. Wir begrüßten uns fast herzlich. Und steuerten wie selbstverständlich die nächste Kneipe an .Wie selbstverständlich sagte ich nun auch Du. Er erzählte mir dass er damals immer einen Bericht schreiben musste. Obwohl er davon überzeugt war das ich kein besserer DDR Bürger geworden bin, verfasste er seine Berichte anders. Er wollte mir die Zukunft nicht in der DDR versauen. Nach meiner erneuten Flucht bekam er einigen Ärger wegen mir. Die Meldung dass ich wahrscheinlich abgängig bin hatte er bereits am nächsten morgen auf dem Tisch. Scheinbar arbeitete alles Hand in Hand, die Arbeitstelle, ABV und Stasi. Natürlich wusste man auf der Arbeitstelle meine Vergangenheit. Als mir nach einigen Tagen Deine Mutter eine Postkarte von drüben zeigte und meinte „er ist in Gießen“ war ich erleichtert sagte er Wir redeten und redeten es blieb nicht bei einem Bier. Früher war ein ABV eben ein Vertreter eines ungeliebten Systems für mich. Nun saß nur der „Mensch ABV“ vor mir. War eine gute und wertvolle Erfahrung.


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