Die Seegrenze bei Dranske

09.07.2015 19:56
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Männer,
ich möchte Euch für Eure Anteilnahme an der Entwicklung unseres Museums in Dranske ein paar Episoden von der Seegrenze, speziell aus dem Dransker Bereich aufschreiben. Geschrieben sind sie eigentlich schon, in der Chronik des Ortes. Für Euch stelle ich sie hier ein, damit Ihr auch einmal seht, wie es an der Ostsee zuging.
Im Prinzip gehören Insel und Wasser immer zusammen. Und unsere Insel wurde während ihrer Geschichte schon mehrmals umkämpft. Einmal landeten die Dänen und brachten den Slawen das Christentum, einmal landeten die Schweden und blieben fast 160 Jahre sesshaft. Kurz vor der Machtübernahme durch die Preußen steht folgende Passage in der Chronik:

"1807-1812 während der Kontinentalsperre waren die Dransker Fischer für ihren Schmuggel mit den Engländern berüchtigt; bei Nacht und Nebel wurden die Boote am Buger Hals über Land gebracht und in See gestochen; ein französisches Kommando in Dranske konnte diesen Schmuggel nicht unterbinden;"

Eine naheliegende Tatsache, denn die Grenzer der DDR, die sich ab 22:00 Uhr an den Küsten der Insel Rügen auf Kontrollgängen befanden, konnten auch nicht alle (Flucht)Versuche verhindern, die Richtung Dänemark bzw. BRD gingen.
Für diese Zeit gibt es folgende Beispiele in der Dransker Chronik:

"Zu der rund 350 Kilometer langen Außenküste der DDR gehörte natürlich auch der an das Territorium der Gemeinde angrenzende Küstenstreifen vom Bug bis nach Nonnevitz, unsichtbare Grenze oder auch die „blaue Grenze“ genannt. In diesem Grenzgebiet galten sowohl für die Küstenbewohner als auch für die Urlauber die Bestimmungen für das Grenzgebiet Küste. Das bedeutete, dass das Seesegeln stark eingeschränkt war, das es keinen Bootsverleih an der Küste gab, das der Aufenthalt auf See mit Luftmatratzen, aufgeblasenen Fahrzeugschläuchen und Schlauchbooten untersagt war. Letzteres mussten oft tschechische Urlauber im Bereich Bakenberg zur Kenntnis nehmen, die da ahnungslos mit Schlauchbooten anreisten, die dann während ihres Aufenthaltes unter Verschluss gebracht werden mussten. Und so war die Ostsee nicht nur beliebter Urlaubs- und Erlebnisbereich, sondern auch Fluchtmöglichkeit in die „Freiheit“ über jene unsichtbare, aber doch vorhandene, bewachte und kontrollierte Grenze. Die trotzdem vorhandenen Lücken im Grenzsicherungssystem an der Küste nutzten nicht nur die zur Flucht in den Westen entschlossenen DDR-Bürger, sondern in einem konkreten Falle, auch ein Dransker Fischer. Der als Privatfischer in

der Gemeinde tätige Franz Zander brachte es in den 60er Jahren fertig, mit seinem Kutter DRA 006 „Sirius“ den Hafen Burg-Staaken auf der Insel Fehmarn anzulaufen.
Dort verkaufte er einen Teil des von ihm und seiner Crew gefangenen Fisch und erstand dann für dieses Geld Netze, die es in dieser Qualität in der DDR offensichtlich nicht gab. Nach erfolgreichem Handel kehrte er unversehrt in sein Dransker Revier zurück. Ob sich im Nachhinein die Sicherheitsorgane mit dem Ausflug von Franz Zander beschäftigten, ist nicht bekannt."


Wer unseren Franz kannte, der wusste, mit ihm ist nicht gut Kirschen essen. Er war ein echter Norddeutscher, sturr und auf Recht bedacht. Leider ist der älteste Fischer von Dranske vor zwei Jahren verstorben, 91jährig und bis dahin immer noch täglich zum Fischen auf See.

Nächste Episode:
"Wir schreiben den 27. September 1970. Gegen 21:30 Uhr besteigen drei Dransker Jugendliche ein Ruderboot der FPG „Karl Marx“ und wagen die Flucht über die Ostsee. Hans-Joachim Sch., 17 Jahre alt, der gleichaltrige Horst I. und der 18 Jahre alte Rolf K. waren in diesem Fall die Akteure. Nach 16 Stunden ununterbrochenem Rudern, und dauerndem Wasserschöpfen aus dem Boot, erreichten die Drei vollkommen ausgepumpt die dänische Insel Moen. Sie hatten also mit ihrem Ruderboot in den 16 Stunden ca. 29 Seemeilen zurückgelegt. Von hier aus wurden sie nach Lübeck verfrachtet und erreichten nach 16 Tagen Aufnahmelager die Stadt Hamburg. Einen Tag nach der Flucht, also am 28.09.1970 durchsuchten Mitarbeiter der Kriminalpolizei und des MfS die Wohnung der Familie Sch., obwohl das Ehepaar, Rita und Erdmann Sch., nicht zu Hause waren. Schränke und Betten wurden durchwühlt, die Wohnung sah danach „leicht“ unordentlich aus. Den Eltern konnte jedoch keine Kenntnis vom Vorhaben des Sohnes bzw. der drei Flüchtigen nachgewiesen werden. Im folgenden Jahr, also 1971, waren alle Drei wieder in der DDR, Hans-Joachim Sch. konkret am 27. Februar 1971. Nach 14 Tagen im Auffanglager Prizier, in dem die Eltern den Sohn besuchen konnten, war er wieder zu Hause. Das Ergebnis des Ausfluges in die „Freiheit“ : Hans-Joachim Sch. wurde mit zwei Jahren auf Bewährung bestraft, die Eltern mussten anteilig 700,- M Schadenersatz an die FPG für das verlustig gegangene Boot bezahlen und die Familie erfreute sich seither der besonderen „Fürsorge“ durch die entsprechenden „Organe“ der DDR. Die beiden anderen Rückkehrer: Horst I. bekam ebenfalls zwei Jahre auf Bewährung, wurde aber 1972 während einer Bahnreise nach Berlin verhaftet, und verbüßte seine Strafe bis 1974 in einer JVA in Warnemünde. Rolf K. musste gleich zwei Jahre hinter Gitter. Einige Jahre später, konkret 1976, gelang Horst I. die Flucht in den Westen erneut, trotz intensiver, konspirativer Arbeit von mehreren IM, die in der FPG tätig waren. Er erinnerte sich in einem persönlichen Gespräch, dass er mit dem Ruderboot ca. 22 Stunden unterwegs war und in Dänemark anlandete. Von hier aus gelangte er dann in die BRD. Im Jahre 1987 besuchte er den Ort Dranske erstmals wieder nach seiner Flucht, und danach regelmäßig."
Hans-Joachim Sch. ist seit 1991 ein gestandener Geschäftsmann in Dranske und kurz vor dem Ruhestand. Sein Lebensinhalt ist der Fisch, ist er doch Fischer von Beruf. Er fängt nicht selbst sondern verarbeitet und verkauft diesen sehr schmackhaft. Sein Familienbetrieb läuft sehr gut und die ältesten Kinder sind in der Übernahmezeit. Tradition verpflichtet.

"In einem anderen Fall handelte es sich um eine verhinderte Republikflucht, nämlich die des Ehepaares Rainer und Rosemarie R.. Rainer R., Jahrgang 1945, war von 1965 bis 1981, zuletzt mit dem Dienstgrad eines Fähnrichs, in der 6. Flottille tätig. Er wurde 1981 von der Staatssicherheit verhaftet. Begründung: „wegen Nichtanzeige einer vorbereiteten Republikflucht.“ In diesem Falle handelte es sich wohl um seinen Schwager. Das Ehepaar kam nach Rostock in die Untersuchungshaft. Rainer R. wurde in Unehren entlassen. Das Militärgericht Rostock verurteilte beide 1982 zu je 1.500,- Mark Geldstrafe und ein Jahr auf Bewährung. Im gleichen Jahr erfolgte die erneute Verhaftung und Inhaftierung des Ehepaares. Jetzt mit der Begründung der tatsächlichen persönlichen Vorbereitung der Flucht über die Ostsee. Nach einem Vierteljahr U-Haft verurteilte das Kreisgericht Bergen beide Ehepartner zu je zwei Jahren Haft. R. verbüßte seine Strafe in einer JVA in Cottbus, seine Frau saß die zwei Jahre im Gefängnis in Hoheneck ein. Nach vollständiger Verbüßung der Haftstrafen und vielfach gestellter Ausreiseanträge konnten die R. mit ihren zwei Jungen im Februar 1986 nach Schleswig-Holstein ausreisen. R. Ranft lebt heute in Flensburg. Eine erstaunliche Tatsache sei noch am Rande erwähnt: einer der Söhne des Ehepaares, Rene, heiratete noch zu DDR-Zeiten seine Dransker Jugendliebe Claudia D., die Tochter des Fregattenkapitäns Dieter D.. Also: schon vor der deutschen Einheit realisierte sich der Spruch: „Es wächst zusammen, was zusammen gehört.“"

"Von 1967 bis 1992 lebte das Ehepaar K. in Dranske. Kurt K., Berufssoldat und Ing.-Offz. in der 6. Flottille, war allgemein nur unter seinem Spitznamen „Kuddel“ bekannt. Die K. und ihre beiden kleinen Söhne waren eine der ersten Familien, die 1967 im Block 1 eine Neubauwohnung bezogen. Ihre Söhne, Lutz und Uwe, besuchten die POS in Dranske und erlernten danach die Berufe eines Rohrschlossers und Maurers. Am 03. September 1987 setzten sich beide, nun 19 und 21 Jahre alt, mit einem Schlauchboot über die Ostsee in Richtung Westen ab. Die Flucht gelang den beiden. Nach 23 Stunden Rudern wurden sie in See von einem Fahrzeug der Bundesmarine aufgenommen und nach Kiel gebracht. Kurt K., zu diesem Zeitpunkt als Zivilbeschäftigter im Stab der 6. Flottille tätig, wurde nach diesem Vorfall an eine andere Arbeitsstelle in der Flottille versetzt. Er erhielt die Auflage, keinen Kontakt mit seinen Söhnen aufzunehmen. Während Lutz K. heute in Schleswig- Holstein wohnt, hat sich Uwe K. in der Nähe von Greifswald niedergelassen."

Was nicht in der Chronik steht aber Tatsache war, ein Urlauber aus Thüringen hatte sich Anfang der 80er Jahre das Ziel gestellt, die DDR über die Ostsee zu verlassen. Er reiste entsprechend im Gemeindegebiet Dranske an und hatte als Camper ein verstautes Schlauchboot im Auto. Offiziell durften ja keine derartigen Fahrzeuge am Tag und in der Nacht auf der Ostsee benutzt werden. In Unkenntnis mit der Lage der Gewässer brachte er eines späten Abends sein Schlauchboot bei Dranske-Lancken in den Wieker Bodden. Es herrschte starker Wind aus West und es regnete sehr stark. Da er sehr schlecht sehen konnte und starke Erschöpfungserscheinungen zeigte, paddelte er auf das erste Licht, was er im Regendunst sah zu. Nach drei anstrengenden Paddelstunden und völlig erschöpft landete er im Hafen der 6. Flottille. Seine erste Frage, die er stellte war: Bin ich in Dänemark?
Nun diese Frage blieb nicht unbeantwortet und hatte ihre Folgen.
Solche schlecht vorbereitete Versuche gab es realtiv selten, Erschöpfung bis zum Umfallen, weil man die Ostsee einfach unterschätzt hatte gab es oft.
Also Männer, bleibt am Strand und sonnt Euch, es ist erholsamer für die Seele.
Demnächst stelle ich Euch einmal paar Fahnenfluchten über See vor.
Eddy von der großen Insel


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09.07.2015 23:08
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Zitat von Eddy im Beitrag #1

Also Männer, bleibt am Strand und sonnt Euch, es ist erholsamer für die Seele.
Demnächst stelle ich Euch einmal paar Fahnenfluchten über See vor.
Eddy von der großen Insel


hallo eddy, wenn ich das so lese ( ist übrigens gut zu lesen ), so bestätigt sich auch heute nach 50 Jahren noch meine Einschätzung, dass es trotz guter Ortskenntnisse in der Lübecker Bucht nicht so einfach war dort auf die Westseite zu gelangen. Mein Plan mit einem anderen Grenzer und Freund in der Rhön stiften zu gehen, war die richtige Entscheidung, das Risiko war besser kalkulierbar. Dass ich weg wollte stand fest, ich war kein Freund der Kommunisten. Wasser hat eben keine Balken wie man so schön sagt.


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10.07.2015 06:22 (zuletzt bearbeitet: 10.07.2015 06:22)
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Ist das eigentlich richtig, das man keine metallischen Gegenstände bei sich haben durfte (keine Uhr , keinen Kompass), weil sie einem sonst hätten auf dem Radar sehen können? Ich kenne mich da technisch nicht so aus.
Auf jeden Fall, als jemand der an der Ostsee groß geworden ist, kenne ich die Schutzmaßnahmen an der Ostsee auch sehr gut. Bei uns in Wismar war es auf Grund der geografischen Lage aber eher entspannter. Auf der Insel Poel haben sie dich im Winter bzw. ausserhalb der Saison sofort kontrolliert, wenn du dich da als Unbefugter herumgetrieben hast. Im Sommer war das bei den vielen Urlaubern natürlich sinnlos.
Über die Ostsee abzuhauen, da musste man schon wirklich fit gewesen und über gewisse Orientierungssinne verfügt haben. Prinzipiell aber wohl die sicherste Methode einer Flucht.


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10.07.2015 08:50 (zuletzt bearbeitet: 10.07.2015 12:39)
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Na ja Schakal,
metalische Gegenstände waren immer ein Risiko. Wir hatten nördlich von Dranske, bei Rehbergort eine sowjetische Radarstation stehen, die in Stärke kein Auge trocken ließ. Damit diese Anlage störungsfrei lief, wurden in den 1950er Jahren die Metalbuhnen vor Dranske entfernt und durch Holzbuhnen ersetzt, was bald zum schnellen Abtragen der Westküste von Dranske beitrug. Der herrliche Weststrand des Ortes verschwand und beim alten Friedhof (seeseitig am Ortsrand) wurden schon die ersten Gebeine sichtbar. Friedhof wurde verlegt, alle Gräber umgebettet. In wie weit Uhr und Kompass reflektierten kann ich nicht sagen, aber gerade derartige Instrumente waren wichtig für die Orientierung. Denn Bäume und andere Landmarken hat die offene See nicht und Strömungen tragen oft zu Verwirrungen und Orientierungslosigkeit bei.
Jedenfalls waren die Antenne so stark, dass das Fernsehen im Wohngebiet Dranske, egal ab DDR 1 oder 2, bei jeder Umdrehung gestört wurde. Als das sogar während der "Aktuellen Kamera" und dem "Schwarzen Kanal" passierte, wurde durch unsere Politabteilung eingegriffen, dass heißt man bat die Freund während dieser Zeit keine bzw. schwächere Strahlung zu nutzen. Es hat geholfen.
Ach so und sicherste Methode der Flucht nicht unbedingt. Viele haben, wie leider auch heute noch, die Ostsee völlig unterschätzt. Solange sie ruhig ist und man wie auf einem Ententeich schwimmen kann mag es gut sein. Aber wehe sie fängt sich an zu bewegen und an See 2 bis 3 ist jeder Unerfahrene in Lebensgefahr. Die kurzen Wellen der Ostsee, sie hat ja nicht die Dünung wie die Nordsee oder der Atlantik, sind für kleine Fahrzeuge oder Schwimmer eine sehr große Gefahr.
Dazu schreibt unser Ortschronist folgendes

"In der Zeit des kalten Krieges, vor allem nach dem Mauerbau 1961 in Berlin, nahmen die Fluchtversuche über See dramatisch zu. Im Zeitraum von 1961 bis 1989 sind 5.636 Fluchtversuche über die Ostsee nachgewiesen (die Zahlenangaben hierzu schwanken leicht). „Davon scheiterten … (80,7%) … schon im grenznahen Hinterland zur eigentlichen Küste des … Bezirkes Rostock. Mit einer Portion Glück gelang 913 Personen (16,2%) die Flucht über die … Ostsee. Die Tragik der nach 1990 bekanntgewordenen dramatischen Fluchtgeschichten über die Ostsee liegt in der Erfolgsquote von nur 16,2% und der damit in Verbindung stehenden >Statistik des Todes<.“ Eine in der OZ vom 05.07.2011 veröffentlichte Notiz sagt zu dieser „Statistik des Todes“ folgendes aus: „174 Flüchtlinge kamen ums Leben. Ihre Fahrzeuge kenterten bei Sturm und Seegang, die Menschen ertranken oder starben an Entkräftung und Unterkühlung.“ In der OZ vom 06./07.August 2011 ist zu dieser Problematik folgendes zu lesen: „Zwischen 1961 und 1989 wurden 5.636 Fluchtversuche über die Ostsee registriert. 189 Menschen starben dabei, weitere 54 werden bis heute vermisst. 913 DDR-Bürgern gelang die Flucht.“

Also, die Grenze war für uns allgegenwärtig.
Eddy


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09.05.2017 17:57
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ich kann mich an r und die brüder k noch gut erinnern, welch freude damals als ich erfuhr daß es wieder welche geschafft hatten...kurz darauf war auch ich aus dem arbeiter -und bauernparadies verschwunden


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