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Wie ich die Kommunalwahl am 07. Mai 1989 erlebte

Die Qual(en) der Wahl
Die kommenden Tage, nach den Maifeiern, standen völlig unter dem Eindruck der unmittelbar bevorstehenden Kommunalwahlen. In Mitten der ohnehin angespannten Lage, sorgte eine Meldung aus dem zum Kreis Strausberg gehörenden, zwanzig Kilometer westlich vor den Toren Seelows gelegenen Städtchens Müncheberg, für zusätzliche Aufregung. Dort hatten unbekannte Täter, quer über die mitten durch den Ort führende Karl-Marx-Straße – Wählt am Sonntag nicht die SED, sondern die Republikaner-, geschrieben. Keine sonderlich originelle Aufforderung. Und nicht allein deshalb, weil die als rechtsradikal angesehenen „Republikaner“ in der DDR ohnehin nicht zugelassen war. Originell hin, originell her. Die Nerven des lokalen Staatsapparates lagen blank. Nacht für Nacht kontrollierten Volkspolizisten und „ Freiwillige Helfer“ in unregelmäßigen Abständen die Wahllokale in den Orten des Kreises Seelow. Wobei die Hauptlast der Verantwortung auf den Schultern der Abschnittsbevollmächtigten lastete. Einige von ihnen, zum Beispiel der ABV von Marxwalde, schliefen sogar im Wahllokal. Jeder einzelne Volkspolizist sehnte den Termin der Wahlen herbei. Kaum jemand, dem die paranoide Stimmung nicht auf die Nerven ging. Jede Äußerung wurde auf die berühmte „Goldwaage“ gelegt. In Golzow äußerte jemand „ am Sonntag bei den Wahlen Dampf ablassen zu wollen“. Sofort rasselten die Alarmglocken. Sowohl im VPKA als auch bei der Staatssicherheit im Seelower Ortsteil Zernikow. Nur ein Beispiel unter vielen. An dieser Stelle könnte der unbefangene Leser, der nicht in der DDR gelebt hat, die nahe liegende Frage stellen, wovor man damals eigentlich solche Angst hatte? Diese Frage kann man eigentlich kurz und knapp beantworten: Vor der Wahrheit! Schließloch wussten doch alle, angefangen vom hohen Funktionär bis zum „Schippenarbeiter“, dass die Wahlen keine Wahlen waren. Eine Wahl ohne Auswahl ist nun mal keine Wahl. Nicht umsonst nannte der Volksmund die Prozededur, „ organisiertes Zettelfalten“. Wem wundert es da noch, dass das aus heutiger Sicht völlig utopische Ergebnis, schon von vorn herein feststand. Das ganze diente lediglich einem einzigen Zweck: der Weltöffentlichkeit die feste Verbundenheit zwischen der Bevölkerung der DDR und ihrer Regierung zu suggerieren. Eine Verbundenheit die so wie dargesellt, in der Realität nicht existierte. Trotzdem oder wohl besser gesagt, deshalb, musste der „schöne Schein“ erhalten bleiben. Koste es was es wolle. Zu diesem Zweck bediente man sich der verschiedensten Mittel. Zum Beispiel des selbst für erfahrene DDR-Bürger nur sehr schwer zu durchschauenden Wahlsystems. Um mit Nein zu stimmen, musste der Wähler sämtliche, auf dem Wahlzettel aufgelisteten Kandidaten „ per Federstrich liquidieren“. Blieb auch nur ein einziger Kandidat verschont, galt das ganze, trotz der offenkundigen Ablehnung, als Ja-Stimme. Wer erst gar nicht zur Wahl erschien, lag den „Oberen“ besonders im Magen. Und durfte sich deren Aufmerksamkeit erfreuen. Schließlich erwartete die SED-Kreisleitung von den Bürgermeistern, dass diese für eine hundertprozentige Wahlteilnahme sorgten. Wenn jemand partout nicht wählen gehen wollte, meist um seine Unzufriedenheit mit dem Staat im Allgemeinen oder bestimmten Maßnahmen zum Ausdruck zu bringen, bekam der Ortsbürgermeister „die Prügel“. Weil er und nicht etwa die allmächtige SED, „ durch politisch unkluges Verhalten die Ursache für die Unzufriedenheit gesetzt hat“. Punkt, aus Basta! Den Bürgermeistern blieb also nichs anderes übrig, als am Wahlabend in Begleitung der Wahlhelfer „ Hausbesuche“ durchzuführen. So manches clevere Schlitzohr konnte dem verzeifelten Bürgermeister einige Zugeständnisse abringen. Wehe dem, wenn der Bürgermeister nicht Wort hielt. Leichtsinnig oder wider besseres Wissen abgegebene Versprechen konnen sich rasch zum Selbstläufer entwickeln. Denn nach der Wahl ist vor der Wahl! Ein zweites Mal würde der Bürgermeister den Unzufriedenen nicht mehr so leicht rumkriegen.
Dem Dienstplan sei Dank, dass ich zunächst von den ganzen Wahlvorbereitungswirren verschont blieb. Erst am Freitag, den 05. Mai, trat ich gegen 17:00 Uhr zur Nachtschicht an. Zuvor hatte ich mich in der Stadt und Kreisbibliothek Seelow, mit allerlei Büchern versorgt. Zu jener Zeit befand sich die Bibliothek noch in einer mit blauen Blechplatten verkleideten Baracke. Unmittelbar hinter dem Kreiskulturhaus. In direkter Nachbarschaft der Lokalredaktion des „ Neuen Tag“. Die sich ebenfalls in einer Baracke befand. Nachtschichten von Freitag auf den Samstag verliefen selten ruhig. Für einen Blick in eines der Bücher, würde sich kaum Zeit finden. Ich verstaute den Beutel mit den Büchern in meinem Schrank und dann ging es auch schon zur Einweisung beim „Operativen Diensthabenden“. Hauptwachtmeister Sommerfeld, der gemeinsam mit mir zum Nachtdienst eingeteilt war, begleitete mich. Wie schon vier Tage zuvor, am 01. Mai, wurden wir auch heute wieder von Hauptmann Schmidt empfangen.
„ Ich mache es kurz: ihr braucht heute keine Einweisung“, sagte er zur Begrüßung. „ Genosse Sommerfeld, Sie gehen sofort in den Polizeigewahrsam und lösen dort den Genossen Müller ab. Die Kriminalpolizei hat in Libbenichen jemanden wegen sexuellen Missbrauchs vorläufig festgenommen. Zurzeit laufen noch die Vernehmungen. Ich denke mal, dass der Mann demnächst dem Haftrichter vorgeführt wird.“ Norbert verzog das Gesicht. So als ob er gerade in eine Zitrone gebissen hätte. Anschließend wandte sich Schmidt an mich: „ Genosse Bräuning, für Sie habe ich einen Spezialauftrag. Nach dem Waffenempfang erfahren Sie näheres.“
Ein Spezialauftrag ist immer gut! Neugierig geworden, steckte ich die „Makarov“ ins Holster, verstaute das Rervemagazin in das dafür vorgesehene Fach und sah dabei den Hauptmann erwartungsvoll an. Schmidt kramte ein Schlüsselbund hervor. „ Folgen Sie mir, Genosse Bräuning“. Und der Genosse Bräuning folgte dem Genossen Schmidt. Vom Stabsbereich hinunter in die Hauswache. Dort nahm Hauptmann Schmidt das Honecker-Bild von der Wand. Hinter dem Bild verbarg sich ein Schloss. Welches zu der mir bislang nicht bekannten Durchgangstür zum „ Rat des Kreises“ gehörte. Wir gingen durch diese „ Geheimtür“ hindurch, einem langen Flur entlang, bis zum Pförtner der Kreisverwaltung. Offenbar hatte diese auf unser Erscheinen bereits gewartet. „ Ich möchte bitte den Schlüssel zum Versammlungsraum“, sagte der Hauptmann. Der Pförtner, ein grauhhariger kurz vor dem Rentenalter stehender Mann, händigte den Schlüssel aus. Nachdem Schmidt den Empfang mittels Unterschrift im Ausgabebuch quittiert hatte, gingen wir nach oben. Ich grübelte noch immer, was für ein Spezialauftrag mich in dem beinahe menschenleeren Gebäude der Kreisverwaltung erwarten würde? Hatte ich vorhin richtig gehört? Versammlungsraum? Tatsächlich, Hauptmann Schmidt stoppte vor diesem Raum. Schloss ihn auf und führte mich in das Innere. Auf dem ersten Blick konnte ich nichts besonderes entdecken. Lange Tische, dazwischen eine große Anzahl gepolsterter Stühle. Gleich neben der Tür stand ein Telefon. In dem für DDR-Behörden typischem Design. Hauptmann Schmidt, der den ganzen Weg über kein Wort zu mir gesagt hatte, lies nun endlich die Katze aus dem Sack: „ Genosse Bräuning, hier in diesem Zimmer sind die Wahlunterlagen des Kreises Seelow untergebracht. Sie sind heute Nacht für die Sicherheit dieser Unterlagen verantwortlich!“ Was bin ich? In Gedanken rekapitulierte ich das gehörte noch einmal. Soll ich etwa, allein in diesem öden Raum, auf einen Haufen Papier aufpassen? Dem Hauptmann blieb meine „Begeisterung“ nicht verborgen. „ Nehmen Sie diesen Auftrag bitte äußerst ernst“, ermahnte er mich mit erhobenem Zeigefinger. „ Morgen früh um 07:00 Uhr werden Sie durch den Genossen Seidel abgelöst. Bis dahin, lassen Sie die Unterlagen keinen Moment aus den Augen. Ich gehe jetzt wieder zurück ins VPKA. Sobald ich den Raum verlasse, schließen Sie sofort ab. Falls Sie auf die Toilette müssen, rufen Sie vorher an. Ich schicke ihnen dann jemanden, der ihren Posten übernimmt. Haben Sie mich verstanden?“
Verstanden im Sinn von Gehört, hatte ich das ganze sehr wohl. Verstanden im Sinne von Begriffen, jedoch nicht. Hauptmann Schmidt setzte noch einen drauf. In dem er mir „eventuelle nächtliche Kontrolle seitens der Bezirksbehörde der Volkspolizei und der Staatssicherheit“ ankündigte. Zum Schluss versprach mir der Offizier noch, für Verpflegung zu sorgen. Dann verließ er den endlich den Raum. Leise fluchend sank ich auf die Sitzfläche eines Stuhls. Seit fast sechs Jahren gehörte ich den „bewaffneten Organen“ an. Inklusive der Wehrdienstzeit. Des Öfteren hatte ich irgendwann, irgendwo, irgend etwas bewacht. Aber an einen ähnlich sinnlosen Auftrag, konnte ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Vierzehn Stunden können verdammt lang werden. Vor allem, wenn man nichts zu tun hat. Die Wahlunterlagen befanden sich, nach Gemeinden sortiert, in mehreren seperaten Bündeln, in der äußersten rechten Ecke, auf Stühlen und einem Tisch verteilt. In einem verschlossenen Zimmer. Das sich mehrere Meter vom Erdboden entfernt, in einer ebenfalls abgeschlossenen, von einem Pförtner bewachten Behörde befand. Selbst eine überängstliche Natur dürfte das Risiko eines Diebstahls bei Null Komma Null ansiedeln. Wobei sich die Frage, warum in aller Welt irgend jemand wertloses Papier klauen sollte, geradezu aufdrängte. Glaubte man allen Ernstes, dass in diesem Moment ein Sonderkommando des „Bundesnachrichtendienstes“ in Richtung Seelow in Bewegung setzte, um in den Besitz der Unterlagen für eine Kommunalwahl zu gelangen? Offenbar schon! Anders konnte ich mir den gnzen Unfug damals nicht erklären. Ganz tief in seinem Inneren zweifelte Hauptmann Schmidt, dieser alte Fuchs, den Sinn der Maßnahmen ganz sicher ebenfalls an. Was er aber nicht zugeben würde. Der Offizier fürchtete weniger irgendwelche obskuren „Kommandounternehmen“, als die Kontrolloffiziere der BdVP Frankfurt (Oder). Nicht auszudenken, wenn mich einer von ihnen im Falle einer unangemeldeten Kontrolle, nicht auf meinem Posten antreffen würde? Oder schlafend? Als Vorgesetzter trug er nun einmal die Verantwortung. Daher sein dringender Apell „ das ganze bitte ernst zu nehmen“.
Das ganze Gegrübel über den Sinn des „Sonderauftrags“, halfen mir in der Situation ohnehin nicht weiter. Jetzt kam es darauf an, egal wie, die Zeit totzuschlagen. Aber wie? Von dem einzigen Fenster schaute ich direkt auf die Rückwand der Kreissparkasse. Alles andere als ein erfreulicher Ausblick. Auf einem kleinen Schrank stand ein Schwarz-weiß-Fernseher. Der, wie sollte es auch anders sein bei meinem „Glück“, nicht angeschlossen war. Was übrigens auch auf ein Radio zutraf, dass ich als nächstes entdeckte. Wie gut hätte ich jetzt die aus der Bibliothek entliehenen Bücher gebrauchen können. Leider befanden sich diese, unereichbar weit, im VPKA. Den Gedanken den Hausposten als „Bücherboten“ einzusetzen, verwarf ich sofort wieder. Hauptmann Schmidt hätte dem Mann „ dass Genick umgedreht“. Sinnbildlich gesprochen, wohlgemerkt. Zunächst wanderte ich in dem einige Quadratmeter großen Schulungsraum ziellos hin und her. Um dann, so weit es ging, einen Blick in die Wahlunterlagen zu werfen. Sagen wir es mal so: es gibt bessere Literatur um sich einen langen Abend zu verschönern. Zum Beispiel ein Krimi der DIE-Reihe. Wobei DIE für Delikte, Indizien, Ermittlungen stand. Eine in der DDR sehr beliebte Buchreihe. Von der ein Exemplar in meiner Tasche auf mich wartete. Dumm nur, dass diese Tasche, wie bereits erwähnt, unerreichbar weit weg, im Aufenthaltsraum der Schutzpolizei stand.
Gegen 19:30 Uhr servierte mir der Hausposten, ein in Ehren ergrauter, auf den wenig vorteilhaften Namen Hugo Hasenfuß hörender VP-Meister. Hugo zeigte sich schlecht gelaunt. Das Essen für die Nachtschicht holten sonst immer die Schutzpolizisten aus der nahegelegenen HO-Gaststätte „Oderbruch“. Heute sah sich Hugo gezwungen, die mit Bockwurst und Mayonaisensalat bestückten Teller, alleine vom Puschkinplatz zum VPKA zu blancieren.
Nach dem Essen verlegte ich mich auf das Zählen der Stühle. Irgendwann begann ich den Raum per Schrittfolge auszumessen. Ich bekam eine Ahnung, wie sich ein Gefangener in seiner Zelle fühlt. Allmählich wurde es dunkel. Die Abenddämmerung zauberte bizarre Schatten auf der Tapete. Jede zweite Stunde musste ich Hauptmann Schmidt „Lagemeldung“ erstatten. Eines tat ich jedoch nicht: den Hausposten wegen eines Toilettengangs anzufordern. Das erschien mir dann doch, salopp gesagt, zu dämlich. Zumal die Toilette gleich nebenan war. Für mich gab es in dieser Situation nur einen schwachen Trost: die so genannten Eisheiligen hatten das schöne, noch am Maifeiertag vorherrschende Wetter völlig verdrängt. Bei Temperaturen von kaum mehr als zwölf Grad, wehte ein kalter böiger Nordostwind durchs Oderbruch. Vor man hier oben nichts spürte. Vom Puschkinplatz her, drang das laute Gegröhle eines Betrunkenen durch die Nacht. Hoffentlich kommt jetzt niemand auf die Idee nach der Polizei zu rufen. Wir haben schließlich wichtigeres zu tun. Zum Beispiel Papier bewachen, schoss es mir grimmig durch den Kopf.
Irgendwann geht auch die längte Nacht vorüber. Müde und übernächtigt übergab ich am nächsten Morgen, um 07:00 Uhr, die „weretvollen Papiere“ an meine Ablösung. Die, offenbar vorgewarnt, einen dicken Wälzer mit sich führte. Nebst Kaffee und Wasserkocher. Derart ausgerüstet, konnte man es selbst auf diesem „verlorenen Posten“ aushalten.
Ich verabschiedete mich ins freie Wochenende. Froh dem paranoiden Wahlrummel endlich entkommen zu sein. Wenn ich Montag früh wieder zum Dienst erschien, würde die Kommunalwahl 1989 endlich Geschichte sein. Dachte ich jedenfalls.
Am nächsten Tag schritt ich in Begleitung meiner Frau, vormittags um 10:00 Uhr, zum Manschnower Standesamt. Nicht um dort ein zweites Mal zu heiraten. Sondern, weil sich dort das Wahllokal befand. Wir traten an die Urne, ich schaute mir noch einmal die Wahlvorschläge an und stutzte. Das Gros der Kandidaten war mir absolut unbekannt. Ich kannte lediglich einen. Und den schon sehr lange. Genauer gesagt, seid der Schulzeit. Ein Kratzer und Schleimer vor dem Herrn. Auf gut Deutsch: ein absoluter Arsch. Jedenfalls in meinen Augen. Den konnte ich schon in der Schule nicht leiden. Wollte ihn folglich auch nicht als Volksvertreter sehen.
„ Ich habe jemanden gefunden, den ich absolut nicht wählen möchte“, verkündete ich vor den Wahlhelfern. „ Wenn Sie jemanden von der Liste streichen wollen, müssen Sie das in der Wahlkabine tun“, beschied mir eine freundliche Helferin. Zufällig hatte meine Frau ebenfalls jemanden gefunden, den sie die Stimme verweigern wollte. Also, ab in die Kabine!
Gegen Abend klingelte es an unserer heimischen Wohnungstür. Zwei auffällug unauffällige Zivilisten, an einer Schnur befestigte Klappausweise zückend, erklärten uns für verhaftet. Die nächsten Stunden vebrachten wir, von einander getretennt, in den Vernehmungsräumen der Staatssicherheit in Seelow-Zernikow. Erst als wir per Unterschrift erklärten, nie wieder eine Kabine zu benutzen, nicht einmal in der Textilabeilung des Kaufhauses, durften wir wieder nach Hause.
Blödsinn! Heutzutage wird viel darüber spekuliert, ob das Benutzen der Wahlkabine zu irgendwelchen Nachteilen führte. Nun ja, ich kann da nur für mich und meine (damalige) Frau, die zu der Zeit ebenfalls im öffentlichen Dienst arbeitete, sprechen. Wir wurden zu keinem Zeitpunkt von irgend jemanden, weder von den Vorgesetzten, noch vom Politoffizier, Parteisekretär, Bürgermeister etc, darauf angesprochen. Was besonders für mich, als Volkspolizist und SED-Mitglied, doch bemerkenswert ist. Schließlich wurde von einem solchen erwartet, dass er den Wahlvorschlägen unumwunden zustimmt. Und nicht die Kandidatenliste in „Ärsche“ und „Nichtärsche“ einteilt. Wie gesagt, es kam nichts! Ehe jemand auf die Idee kommt, dass ich mir eine nachträgliche Heldenvita bastele: Mein Handeln basierte lediglich aus persönlicher Antipathie gegenüber dem Kandidaten. Ansonsten hätte ich, wie alle anderen, brav den Zettel gefaltet und in die Urne geschmissen. Über etwaige Folgen, machte ich mir zu diesem Zeitpunkt keinerlei Gedanken. Möglicherweise sogar zu Recht! In den Diskussionen wird weiter behauptet, dass jeder Bürger, der die Wahlkabine betrat, von den Wahlhelfern namentlich registriert wurde. Ich meine gesehen zu haben, dass einer der Wahlhelfer tatsächlich Notizen anfertigte. Mittlerweile ist jedoch seit diesem Tag „ viel Wasser die Oder herabgeflossen“. Beinahe ein Vierteljahrhundert ist seit damals vergangen. Da kann einem die Erinnerung schon einmal einen Streich spielen.
Wie auch immer! Fakt ist, dass weder mir noch meiner Frau irgendwelche Nachteile entstanden sind.
Montag früh stand ich im VPKA um 07:00 Uhr auf der Matte. Endlich hatte mich der Alltag wieder! Am Abend zuvor hatte der als oberster Wahlleiter fungierende Egon Krenz, in der „Aktuellen Kamera“ das vorläufige Wahlergebnis verkündet: satte 98 % Ja-Stimmen. Zu besonderen Vorkommnissen ist es im Kreis Seelow am Wahltag nicht gekommen. Aus der Bezirksstadt Frankfurt (Oder) wurde vermeldet, dass in einigen Wahllokalen die Stimmenauszählung von Bürgern beobachtet wurde. Eine Meldung die bei den Verantwortlichen allenfalls für Verwunderung sorgte. Aber noch keine Besorgnis erregte. Wer hätte schon geglaubt, dass es bei dieser Wahl, die ja eigentlich keine war, Fälle von Wahlbetrug gegeben hat? Ob es solche Fälle auch im Kreis Seelow gab, entzieht sich meiner Kenntnis. Meine Hoffnung auf einen ganz normalen Streifendienst, sollte sich an dem Montag nach der Wahl, jedenfalls nicht erfüllen. Erneut wartete ein „Spezialauftrag“ auf mich. Diesmal ging es um den Abtransport der Wahlunterlagen vom „Rat des Kreises Seelow“, zum „Rat des Bezirkes Frankfurt (Oder)“. Der Transport erfolgte mit einem Mannschaftstransporter, Typ W 50, des VPKA. Die Unterlagen wurden auf der Ladefläche gestapelt. Gemeinsam mit einem weiteren Schutzmann, sowie jemanden von der Verkehrspolizei, wurde ich zur Sicherung des Transporters bestmmt. Bewaffnet mit einer Kalaschnikov-Maschinenpistole, hatten wir mit dem Streifenwagen der Verkehrspolizei den Lastwagen zu folgen. Hauptmann Trzyna, der Leiter der Seelower Schutzpolizei, apellierte, wie Tage zuvor Hauptmann Schmidt, den Auftrag gefälligst ernst zu nehmen. Trzyna fürchtete sich offenbar ebenfalls vor den Kontrolloffizieren der Bezirksbehörde. „ Ihr dürft unterwegs auf keinen Fall anhalten“, mahnte der Schutzpolizeichef eindringlch. „ Egal was ihr seht. Selbst wenn es sich um einen schweren Verkehrsunfall handelt. Sagt über Funk Bescheid, wir schicken dann Kräfte nach.“
Wortlos nahm das „Begleitkommando“ im Streifenwagen Platz. Wer meint, dass Volkspolizisten jeden Befehl automatengleich ausgeführt haben, irrt sich. Kaum das sich der Transport in Bewegung gesetzt hatte, begannen wir wie die Rohrspatzen zu schimpfen. Den Verkehrspolizisten empörte, Naheliegenderweise, die Weisung selbst schwere Verkehrsunfälle „links liegen zu lassen“, wohl am meisten. „ Was sollen denn die Bürger von uns denken“, schimpfte die „Weisse Maus“ und tippte sich dabei mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. „ Denken die wirklich, dass uns jemand eine Falle stellt? Wird lamgsam Zeit, sich nach einer anderen Arbeit umzusehen. Die werden doch hier immer bekloppter!“
Die Fahrt ging über Friedesdorf-Dolgelin-Libbenichen-Lebus und von dort weiter nach Frankfurt (Oder). Ohne das kleinste Vorkommnis erreichten wir dreißig Minuten später das imposante, ehrwürdige Gebäude der „Bezirksregierung“. Das heute übrigens die Europauniversität „Viadrina“ beherbergt. Fleißige Hände halfen bei der Enladung des grünen Lastwagens. Gemächlich, noch immer über die übertriebenen Sicherheitsvorkehrungen diskutierend, fuhren wir zurück nach Seelow. „ Vorläufig kann ich das Wort Wahlen nicht mehr hören“, stöhnte der Verkehrspolizist. Wir anderen konnten ihm nur beipflichten. Ohne zu ahnen, dass diese Kommunalwahl der gesamten DDR noch „schwer im Magen liegen“ wird.
Seelow, Ende der siebziger Jahre
Gruß an alle
Uwe

Ein sehr informativer Beitrag, ich erinnere mich noch, das der Schuldirektor von Neutrebbin bei uns, dem selbständigen Malermeister,
gegen 13:30 Uhr am Tor klingelte, und fragte, wann wir denn zur Wahl kommen würden.
(Wir waren wohl ziemlich die letzten, die noch fehlten.)
Gut eine Stunde später haben wir uns dann aufgerafft und Kreuzchen gemalt.
---------------------
Aber eine Frage, aus welcher Zeit stammt das Foto ? Muß doch noch von vor -85 sein, oder ? Ich kenne doch die Kreuzung samt Marktplatz,
Kaufhaus an der Ecke rechts und geradezu die HOG Oderbruch.



Ich hatte an diesem Tag Frühschicht, kam gegen 15 Uhr nach Hause. Ich hatte nicht vor zur Wahl zu gehen und das tat ich dann auch.
Gespannt warte ich, ich hatte ja schon vieles gehört, das man kommen würde um die Leute zur Wahl zu holen wenn sie nicht bis zu einer bestimmten Zeit im Wahllokal waren. Oder das Wahlhelfer mit einer Urne an die Tür kommen, ja es wurde sogar von einigen meiner Bekannten behauptet das man von der VP zugeführt wird. Die "Wahl" selber war mir egal, ob ich hingehe oder nicht würde nichts ändern. Dachte ich!
Es wurde 18 Uhr, die Wahllokale schlossen, bei mir war niemand. Weder mit noch ohne Wahlurne. Auch die VP ist nicht gekommen um mich zum Wahllokal zu bringen. Es stürmte auch kein SEK der Stasi meine Wohnung um mich als Staatsfeind zu verhaften.
Es war den Verantwortlichen wohl scheissegal ob ich da war oder nicht. Vielleicht hat sich auch jemand im Wahllokal für mich ausgegeben und hat heimlich für mich gestimmt, ich weiß es nicht.
Ein Detail noch, da ich ja nicht wählen war, hatte ich nach der Wahl meine Wahlbenachrichtigung noch. Und in den Tagen nach der Wahl habe ich von mehreren Leuten in meinem Umfeld die Wahlbenachrichtigung gesehen, d.H. sie waren ebenfalls nicht wählen. An einem der folgenden Tagen war in der Tagespresse eine detaillierte Aufschlüsselung der Wahlbeteiligung mit exakten Angaben der Wählerstimmen nach Wahlbezirk. Jedenfalls war die Anzahl der Nichtwähler in der Presse geringer als die Leute die mir als Nichtwähler bekannt waren. Das gilt natürlich nur für den Wahlbezirk in dem ich und meine Bekannten "Nichtwähler" waren.
Andreas
#7


@Ameisenferdinand , so ähnlich habe ich es auch erlebt.
Ich bin nicht hingegangen, genau wie bei den vorangegangen Wahlen und keinen hat's interessiert.
Allerdings war ich als Student Anfang der 70ger mal als Wahlhelfer eingeteilt.
In Zweier oder Dreiergruppen zogen wir ab dem Mittag, ausgestattet mit Listen derer die noch nicht zur Wahl gegangen waren, los um sie Aufzufordern zur Wahl zu gehen .....
Zuvor erhielten wir eine umfangreiche Unterweisung mit helfenden und überzeugenden Argumenten.
Die meisten haben wir nicht "angetroffen", denn wer der "Bitte" zur Wahl zu kommen doch nicht nachkam wurde nach einer bestimmten Zeit wieder aufgesucht.
Diejenigen die den Fehler machten und sagten, die Familie ist in ihrem Garten nach Auskunft der Nachbarn mußten sogar in die Gartenkolonie fahren um dort die säumigen Bürger aufzufordern das sie endlich ihrem Bedürfnis nach Abgabe ihrer Stimme nachkommen möchten .....
Am schlimmsten hatten es die Kommilitonen getroffen welche die fliegende Wahlurne begleiten mußten .....
Alles in allem für uns eine peinliche Veranstaltung.
Gruß
Nostalgiker

Voll verschlafen ne besser ausgedrückt, ich habe das garnicht mitbekommen. Mein ganzes Streben bestand darin, ne eigene Firma zu gründen, so nach dem Motto "Tagespolitik geh mir weg ich habe einfach keine Zeit für so einen Mist".
Wenn mir heute Einer meint." na mensch Rainer du kleines Licht, du hast damit das alles besiegelt was dann kam...nachkam" muss ich sagen...Recht hat der Mann, die Frau, ich habe mich einfach anderen Prioritäten gewidmet.
Ich könnte mich heute noch in den Arsch beißen und das Thema war wirklich menschlich wichtig für mich(so 15 Jahre Arbeit in Kasernen der GSSD zu DDR-Zeiten), das ich den Abzug der GSSD aus der DDR wieder voll verschlafen habe, eben voll aus dem Grund heraus, weil mir einfach mein kleiner mittelständischer Betrieb wichtiger war, sein Laufen und Fortbestehen zu dieser Zeit in den neunziger Jahren enorm am Herzen lag.
Lebensläufer

Zitat von Heckenhaus im Beitrag #2
Ein sehr informativer Beitrag, ich erinnere mich noch, das der Schuldirektor von Neutrebbin bei uns, dem selbständigen Malermeister,
gegen 13:30 Uhr am Tor klingelte, und fragte, wann wir denn zur Wahl kommen würden.
(Wir waren wohl ziemlich die letzten, die noch fehlten.)
Gut eine Stunde später haben wir uns dann aufgerafft und Kreuzchen gemalt.
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Aber eine Frage, aus welcher Zeit stammt das Foto ? Muß doch noch von vor -85 sein, oder ? Ich kenne doch die Kreuzung samt Marktplatz,
Kaufhaus an der Ecke rechts und geradezu die HOG Oderbruch.
Das Foto wurde irgendwann Ende der siebziger Jahre aufgenommen. Genau eingrenzen kann ich das aber nicht.
Gruß Uwe

Zu der Zeit hab ich gedient, wenn ich mich richtig erinnere haben wir Ausgangsuniform angezogen und wurden mit dem ELO nach Ascherleben ins Rathaus gefahren, nach dem Kreuz ging es direkt zurück in die GK.
Grüsse von Küche 69
_________________
"Wer nicht mit beiden Augen sieht, wird nie die ganze Wahrheit sehn!"



Zitat von ABV im Beitrag #9
Das Foto wurde irgendwann Ende der siebziger Jahre aufgenommen. Genau eingrenzen kann ich das aber nicht.
Na eher mehr gegen Anfang/Mitte der 70er. Auf jedenfall vor '76, siehe Parkverbotsschild. Und im Hintergrund das dürfte ein Ikarus 252 sein, erst ab '73 in der Provinz. Geht der Scan mit auch ä bissel mehr Resolution?
Achso, zum Thema ... Boykott der DDR-Wahlen
P.S. Als Aufnahmezeitraum schließe ich mal die Monate Juli und August kategorisch aus.

Zitat von küche69 im Beitrag #10
Zu der Zeit hab ich gedient, wenn ich mich richtig erinnere haben wir Ausgangsuniform angezogen und wurden mit dem ELO nach Ascherleben ins Rathaus gefahren, nach dem Kreuz ging es direkt zurück in die GK.
Grüsse von Küche 69
_________________
"Wer nicht mit beiden Augen sieht, wird nie die ganze Wahrheit sehn!"
Wasn fürn Kreuz?Du meinst sicher nach dem FALT

Ich war zuerst Wählervertreter, dann jahrelang beim Kreissekretär als Helfer tätig.
und vieles mehr.
Mein Vater war lange ein Leiter eines Wahllokales in Eisenach/Süd.
Wuste schon immer das die Zahlen geschönt waren
1989 war es wie immer, gegen 7.00 mit Frau zur Wahl (gefaltet) und dann zum Kreissekretariat.
Nach der Wende paar Jahre als Wahlhelfer tätig.
Seit ca 2004 gehe ich nicht mehr zur Wahl
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