Forum DDR Grenze- DDR Zeitgeschichte Online » » Das Ende der DDR » F. Streletz - Die Handlungen der militärischen Führung im Herbst 1989

F. Streletz äußert sich über die Ereignisse 1989.
@Alfred hat technische Schwierigkeiten und mich gebeten, diese Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors F. Streletz hier einzustellen.
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Zitat
Die Handlungen der obersten militärischen Führung der DDR im Herbst 1989 zur Gewährleistung der Gewaltlosigkeit
Die Ereignisse der Herbst 1989 jähren sich 2014 zum 25. Mal. Für Politiker der etablierten Parteien vor allem aber die Massenmedien Anlass genug, ihre Version des Verlauf der Ereignisse darzustellen, Hasstriaden über die DDR sowie ihre Schutz –und Sicherheitsorgane auszuschütten und gleichzeitig den sogenannten „Bürgerrechtlern“ Lob und Anerkennung für den Verlauf der „friedlichen Revolution“ zu zollen. Das aber hat mit der Wirklichkeit wenig zu tun.
Als Zeitzeuge möchte ich mich zu drei Fragen äußern, die für die wahrheitsgetreue Betrachtung der Geschichte der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen der DDR während der Ereignisse im Herbst 1989 von Bedeutung sein könnten.
1. Zur Befehlsgebung durch den Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates
2. Zur Öffnung der Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD und zu Westberlin am 9. November 1989
3. Zur Zusammenarbeit der NVA mit der Westgruppe während der Wende 1989. (Angeblicher Befehl aus Moskau – Die Westgruppe bleibt in den Kasernen)
Die Darlegungen zu diesen drei Fragen sollen auch eine Antwort auf das sogenannte
„ Wunder der Wende“
geben, das der Ministerpräsident des Landes Brandenburg, Dietmar Woidke, bei der Vorstellung des Programms „25 Jahre friedliche Revolution“ breit popularisierte.
1. Zur Befehlsgebung durch den Vorsitzenden des Nationalen
Verteidigungsrates im Herbst 1989
Auch für die Angehörigen des Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen war das Jahr 1989 ein ereignisreiches Jahr.
Vor allen Dingen mussten im Herbst 1989 Aufgaben gelöst werden, die einen verantwortungsbewussten politisch – moralischen Zustand aller Angehörigen der NVA und der Grenztruppen der DDR erforderten.
Trotz der vielen Massendemonstrationen und der Sprachlosigkeit der Partei – und Staatsführung, aber auch der militärischen Führung zu den anstehenden Problemen, musste die Ordnung und Sicherheit sowie die Grenzsicherung gewährleistet sein.
Wir hatten vielseitige Verpflichtungen im Warschauer Vertag und gegenüber der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte, die eigehalten werden mussten. Für die Erfüllung dieser Aufgaben hatte der Nationale Verteidigungsrat eine besondere Verantwortung. Es kam darauf an, dass in dieser schwierigen Periode durch den Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates klare Befehle für die Armee, die Schutz – und Sicherheitsorgane und die Bezirkseinsatzleitungen gegeben wurden.
Als Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates hatte ich dabei eine besondere Verantwortung.
Insgesamt wurden im Herbst 1989 vier „Sicherheitsbefehle“ durch den Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates unterzeichnet, die ich vorbereitet habe.
Alle vier Befehle waren erforderlich, weil sich im Oktober / November 1989 die entstandene Situation kurzfristig veränderte und jeder einzelne Befehl sich auf die jeweiligen konkreten Ereignisse bezog.
Die Befehle Nr. 8 und 9/89 wurden noch von Erich Honecker und die Befehle Nr. 11 und 12/89 von Egon Krenz als Vorsitzenden des NVR unterzeichnet.
Auch in dieser schwierigen Periode im Herbst 1989 sind wir, die militärische Führung, von dem Grundsatz ausgegangen:
„Politische Probleme müssen mit politischen Mitteln und auf politischem Wege gelöst werden“.
Von diesen Überlegungen aus habe ich die vier Sicherheitsbefehle des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates im Herbst 1989 erarbeitet.
Zu den einzelnen Befehlen:
(1) Befehl Nr. 8/ 89 über „ Maßnahmen zur Gewährleitung der Sicherheit und Ordnung in der Hauptstadt der DDR, Berlin, anlässlich des 40. Jahrestages der DDR“
Dieser Befehl wurde auf Weisung von Erich Honecker erarbeitet und am 26.09.1989 von ihm unterzeichnet. Er beinhaltete schwerpunktmäßig die Aufgaben und die Verantwortung der Bezirkseinsatzleitung Berlin im Zusammenhang mit der Durchführung der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR in der Hauptstadt Berlin.
Aus diesem Dokument ist ersichtlich, dass der Vorsitzende der Bezirkseinsatzleitung Berlin, Schabowski, die volle Verantwortung für die Ruhe, Sicherheit und Ordnung in Berlin zu tragen hatte.
Diesen Befehl haben außer Schabowski auch
- der Minister für Nationale Verteidigung
- der Minister für Staatssicherheit und
- der Minister des Innern und Chef der Deutschen Volkspolizei
erhalten.
Diese drei Minister haben auf der Grundlage des Befehls des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates ihre eigenen Befehle für ihren Verantwortungsbereich erlassen.
(2) Befehl Nr. 9/89 über Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung in Leipzig
Dieser Befehl wurde am 13.10.1989 unterzeichnet. Die Erarbeitung dieses Dokumentes hat eine Vorgeschichte, auf die ich kurz eingehen möchte.
Bekanntlich hat es am 9. Oktober 1989 in Leipzig eine Demonstration mit 70.000 Menschen gegeben. Man rechnete am 16.Oktober mit einer Demonstration von 120.000 bis 150.000 Teilnehmer.
Auf Entschluss von Egon Krenz sind am 13. Oktober gemeinsam mit ihm
- Generaloberst Mittig - 1. Stellvertreter des Minister für Staatssicherheit
- Generaloberst Wagner – Chef des Stabes des Ministeriums des Innern
- Wolfgang Herger – Leiter des Abteilung für Sicherheitsfragen und
- ich, Generaloberst Streletz
nach Leipzig geflogen, um mit der Bezirkseinsatzleitung eine ausführliche Beratung durchzuführen. Über drei Stunden haben wir beraten, wie auf die nächste Großdemonstration politisch reagiert werden soll und wie sich die Schutz – und Sicherheitsorgane verhalten sollten.
Die Hauptaufgabe bestand darin
- Keine Provokationen
- Keine Gewalt
- Keine Anwendung der Schusswaffe
zuzulassen.
Zu diesen drei Fragen gab es bei allen Teilnehmern an der Beratung eine einheitliche Auffassung.
Auf dem Rückflug von Leipzig nach Berlin habe ich den Befehl Nr. 9/89 des Vorsitzenden des NVR vorbereitet. Er wurde im Hause des Zentralkomitees nach Rücksprache mit Egon Krenz von seiner Sekretärin geschrieben.
Gegen 17.00 Uhr haben Egon Krenz und ich Erich Honecker
- Über die Ergebnisse der Beratung in Leipzig Bericht erstattet und
- Ihn gebeten, den vorbereiteten Befehl zu unterschreiben.
Diese Beratung bzw. Berichterstattung bei Erich Honecker dauerte etwa eine Stunde. Ich habe ihm alle Punkte des Befehls erläutert bzw. begründet. Dieser Befehl wurde von ihm unterzeichnet.
Vielleicht darf ich den Punkt 5 dieses Befehls zitieren:
„Der aktive Einsatz polizeilicher Kräfte und Mittel erfolgt nur bei Gewaltanwendung durch Demonstranten gegen eingesetzte Sicherheitskräfte bzw. bei Gewaltanwendung gegen Objekte auf Befehl des Vorsitzenden der Bezirkseinsatzleitung Leipzig. Der Einsatz der Schusswaffe im Zusammenhang mit möglichen Demonstrationen ist grundsätzlich verboten“.
Das war eine klare Aufgabenstellung die auch von den Schutz- und Sicherheitsorganen in Leipzig streng eingehalten wurde. Es sei mir jedoch gestattet, nur ein Beispiel von vielen Lügen und Verleumdungen im Zusammenhang mit den Leipziger Demonstrationen zu schildern.
Ich möchte nur auf die Lügen des damaligen Bundespräsidenten Köhler im Zusammenhang mit der Festveranstaltung im Jahre 2009 in Leipzig eingehen.
Wörtlich formulierte er:
„Vor der Stadt standen Panzer, die Bezirkspolizei hatte Anweisung, auf Befehl ohne Rücksicht zu schießen.
Die Herzchirurgen der Karl – Mar – Universität wurden in der Behandlung von Schusswunden unterwiesen , und in der Leipziger Stadthalle wurden Blutplasma und Leichensäcke bereitgelegt.“
Da ich als Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates auch für die Maßnahmen in Leipzig eine bestimmte Verantwortung hatte, möchte ich unterstreichen:
- kein einziger Panzer stand vor oder in Leipzig (die NVA hatte im Standort Leipzig keine Panzer stationiert)
- kein Vorgesetzter hat der Bezirkspolizei einen Befehl oder eine Weisung gegeben, ohne Rücksicht auf Demonstranten zu schießen
- in Leipzig wurden nirgends Blutplasma und Leichensäcke bereitgestellt
- kein einziger Arzt der Klinik für Herz – und Gefäßchirurgie der Leipziger Karl – Marx – Universität wurde in die Behandlung von Schussverletzungen eingewiesen, bestätigte der Direktor der Klinik Professor Karl – Friedrich Lindenau.
Das sind die Tatsachen zu den Leipziger Ereignissen.
Durch solche Lügen und Verleumdungen, selbst durch den damaligen Bundespräsidenten, soll die DDR als „Unrechtsstaat“ abgestempelt werden.
Auch so kann man die deutsche Geschichte aufarbeiten !
(3) Befehl Nr. 11/89 über Maßnahmen zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung in den Bezirken der DDR
Dieser Befehl wurde von mir auf Weisung von Egon Krenz am 3. November erarbeitet und beinhaltet die Sicherheitsvorkehrungen in der Hauptstadt Berlin im Zusammenhang mit der geplanten Großdemonstration auf dem Alexanderplatz, zu der bis zu einer Million Menschen erwartet wurden.
Dieser Befehl 11/89 es war der erste Befehl von Egon Krenz als Vorsitzenden des NVR, wurde allen 15 Vorsitzenden der Bezirkseinsatzleitungen zugestellt, da man auch in den einzelnen Bezirken mit Demonstrationen nach dem Beispiel Berlin rechnen musste. In diesem Befehl wurden auch besondere Anweisungen für die Sicherung der Staatsgrenze festgelegt.
Im Punkt 6 wurde befohlen:
„Durch die Bezirkseinsatzleitungen der Grenzbezirke sind die erforderlichen Maßnahmen vorzusehen, damit Demonstrationen nicht in das Grenzgebiet eindringen. Im Falle eines solchen Eindringens sind die Demonstranten durch Anwendung körperlicher Gewalt und geeigneter Mittel daran zu hindern, dass es zu Grenzdurchbrüchen kommt. In besonders gefährdeten Abschnitten sind, zusätzlich zu den eingesetzten Grenzposten, Diensthundeführer einzusetzen.“
Im Punkt 7 wurde festgelegt:
„Die Anwendung der Schusswaffe im Zusammenhang mit möglichen Demonstrationen ist grundsätzlich verboten.“
Der Befehl Nr.11789 war auch ein wichtiges, man kann sagen ausschlaggebendes Dokument für die Angehörigen der Grenztruppen in Berlin, dass bei der „Maueröffnung durch Schabowski“ kein einziger Schuss fiel.
(4) Befehl Nr. 12/89 über die Bildung einer operativen Führungsgruppe des Nationalen Verteidigungsrates der DDR
Dieser Befehl wurde von mir in der Nacht vom 9.November auf Weisung von Egon Krenz erarbeitet. Leider erst dann, als das Kind schon in den Brunnen gefallen war. Mit diesem Befehl sollte wieder Ruhe, Ordnung und Sicherheit in der DDR, vor allen Dingen in Berlin, durch die abgestimmten Maßnahmen aller zuständigen Organe hergestellt werden.
Deshalb gehörten zu der Führungsgruppe kompetente Vertreter
- des Ministeriums für Nationale Verteidigung
- der Grenztruppen der DDR
- des Ministeriums für Staatssicherheit
- des Ministeriums des Innern
- des Zentralkomitees der SED und
- des Ministerrates
Hätte man eine solche Arbeitsgruppe bei der Vorbereitung der neuen „Reisegesetzgebungen“ und der Öffnung der Grenzübergangsstellen gebildet und nicht die Vorbereitung
- zwei Obersten des Ministeriums des Innern und
- zwei Obersten des Ministeriums für Staatssicherheit überlassen,
dann wäre es sicher nicht zu einer solchen komplizierten Lage gekommen, wie sie nach der Pressekonferenz von Schabowski am 9.November an der Berliner Grenze eintrat.
Diese vier Befehle des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates waren eine wichtige Grundlage dafür, dass es im Herbst 1989 in der DDR
- keinen arabischen Frühling oder
- ukrainische Verhältnisse
mit Tausenden Toten in der DDR gegeben hat.
Warum erfolgte während der Wende 1989/90 kein Einsatz der Nationalen Volksarmee zur Verteidigung des Sozialismus in der DDR ?
Der Verfassungsauftrag (Klassenauftrag) für die Nationale Volksarmee beinhaltete, die DDR gegen alle äußeren Feinde , gegen eine Aggression zu schützen. Die Bewaffnung, Ausrüstung, Ausbildung und Erziehung war immer auf der Grundlage des Fahneneides auf die Erfüllung dieser Hauptaufgabe ausgerichtet.
Eine Vorbereitung für den Einsatz im Innern der DDR hat es seit 1962 nicht gegeben.
Entsprechend den Grundsatzdokumenten des Nationalen Verteidigungsrates waren für alle Maßnahmen der Inneren Sicherheit
- das Ministerium des Innern und die Deutsche Volkspolizei
- das Ministerium für Staatssicherheit und
- die Kampfgruppe der Arbeiterklasse
verantwortlich.
Nach den Grenzsicherungsmaßnahmen zu Westberlin am 13. August 1961 gab es keine Pläne für einen möglichen „Inneren Einsatz“
- für die Nationale Volksarmee der DDR bzw.
- für die Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte.
Der Nationale Verteidigungsrat der DDR hat am 6.4.1962 einen dementsprechenden Beschluss gefasst. Ausgehend davon, gab es auch in der Verfassung der DDR bzw. im Verteidigungsgesetz keinen „Ausnahmezustand“. Es fehlte deshalb jede rechtliche Grundlage für den Einsatz der nationalen Volksarmee im Innern der DDR.
Der „Staatsnotstand“ hätte einen Einsatz im Innern kaum gerechtfertigt.
Wenn breite Massen der Bevölkerung mit der Politik der Partei – und Staatsführung nicht mehr einverstanden sind, auf die Straße gehen, friedlich demonstrieren und eine andere, bessere Politik fordern, dann muss die Änderung der Politik erfolgen.
Die Nationale Volksarmee war, trotz des starken Einflusses durch die SED, eine Armee des Volkes. Er größte Teil der Offiziere, Generale und Admirale kam aus der Arbeiterklasse und Bauernschaft.
Diese Armee gegen das eigene Volk einzusetzen, widersprach allen Werten der Nationalen Volksarmee für die sie in ihrer 40 – jährigen Geschichte stand.
Sicherlich wären die Befehle der Armeeführung im Sommer und im Herbst 1989 durch die Angehörigen der Nationalen Volksarmee erfüllt worden, wer etwas anderes behauptet, der kennt nicht die Lage in der NVA, aber die Auswirkungen auf den politisch – moralischen Zustand wären enorm gewesen und hätten zu erheblichen Konflikten führen können.
Ein militärischer, bewaffneter Einsatz gegen die Demonstranten hätte verhängnisvolle Auswirkungen gehabt.
Nicht nur, dass es Tausende von Toten in diesem Bürgerkrieg gegeben hätte. Die Gefahr der Eskalation der Ereignisse auf Westberlin und die BRD durch die Grenzen und der mögliche Einsatz der Sowjetarmee hätten leicht zu einem 3. Weltkrieg führen können.
Ich weiß, dass es heute noch immer ehemalige DDR – Bürger gibt, die mir und anderen Verantwortungsträgern den Vorwurf machen, leichtfertig den Sozialismus aufgegeben zu haben, anstatt ihn mit allen Mitteln, auch mit dem bewaffneten Einsatz der NVA, zu verteidigen. Ein solcher Einsatz hätte die Lage nicht zu Gunsten des Sozialismus verbessert, im Gegenteil, wie ich bereits betont habe, er hätte uns alle in ein kriegerisches Inferno gestürzt.
In diesem Zusammenhang einige Erläuterungen zur Bildung von Hundertschaften der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen:
Die Bildung der Hundertschaften am 4.Oktober 1989 und im weiteren Verlauf der Wende, das heißt im Oktober und November – am 11.November wurde ihre Auflösung befohlen – hatte unter anderem folgende Gründe:
a) Im Herbst 1989 nahmen die Demonstrationen und Proteste immer größere Maßstäbe an. Es war zu befürchten, dass die Kräfte der Deutschen Volkspolizei nicht immer allein die öffentliche Ruhe und Ordnung sowie die Sicherheit der staatlichen Einrichtungen durchsetzen können. Davon ausgehend wurde die Forderung nach Unterstützung der Deutschen Volkspolizei durch Kräfte der NVA bei Notwendigkeit immer lauter. Es war deshalb zu entscheiden, in welcher Form diese Unterstützung erfolgen konnte. Die Lösung war die Bildung von Hundertschaften.
b) Mit dieser Form des Einsatzes sollte klar zum Ausdruck gebracht werden, dass die Nationale Volksarmee zur Erfüllung von Aufgaben im Innern der DDR nicht mit ihren militärischen Strukturen, der Kampftechnik und der Bewaffnung eingesetzt wird. „Hundertschaft“ ist ein polizeilicher Begriff. Die militärische Kommandostruktur, die Kampftechnik und Bewaffnung waren für die Erfüllung von Aufgaben im Verteidigungszustand zur Verteidigung der DDR gegen einen Angriff von außen vorgesehen.
c) Die für die Unterstützung der Deutschen Volkspolizei vorgesehenen Kräfte wurden aus den militärischen Strukturen herausgenommen und als Hundertschaften ohne Kampftechnik und Bewaffnung formiert. Dadurch sollte klar zum Ausdruck kommen, dass nicht militärische Einheiten zu Sicherungs- und Absperrmaßnahmen vorgesehen sind, sondern Kräfte, die aus der militärischen Struktur und Organisation zeitweilig herausgelöst wurden.
d) Die Festlegungen für die Hundertschaften beinhalteten, dass diese Kräfte bei Notwendigkeit auf Anforderung der Vorsitzenden der Bezirkseinsatzleitungen zur Hilfe und Unterstützung der Deutschen Volkspolizei eingesetzt werden konnten.
Den Vorsitzenden der Bezirkseinsatzleitungen bzw. dem jeweiligen Chef der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei konnten und durften nicht militärische Strukturorgane als polizeiliche Hilfskräfte zur Verfügung gestellt werden. Eine solche Handlungsweise hätte auch den gültigen Führungs- und Einsatzgrundsätzen für die Nationale Volksarmee, die vom Nationalen Verteidigungsrat bestätigt waren, widersprochen.
Das waren die vorrangigen Gründe für die Bildung der Hundertschaften während der Wende.
Hatten die Hundertschaften bei ihrem ersten Einsatz am 4.und 5. Oktober in Dresden noch ihre Handfeuerwaffen dabei, so wurde am 6. Oktober strikt befohlen, die Hundertschaften künftig ohne Bewaffnung einzusetzen.
Schlussfolgernd kann festgestellt werden :
Man kann heute darüber unterschiedlich urteilen, ob wir damals zweckmäßig und richtig gehandelt haben. Im nachhinein ist man immer klüger !
Es gehört mit zu den Verdiensten der militärischen Führung der DDR, dass die Wende
- ohne Einsatz der Armee und
- ohne Blutvergießen
verlief und die Lösung der deutschen Frage auf friedliche Wege erfolgte.
Dies ist aus meiner Sicht die historische Wahrheit.
2. Zur Öffnung der Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD und zu Westberlin am 9. November 1989
Über die sogenannte „Maueröffnung und Schabowskis Zettel“ hat es bereits viele Veröffentlichungen gegeben.
Ich möchte aus der Sicht eines sozialistischen Militärs diesen Sachverhalt betrachten. Eine nüchterne und sachliche Bilanz über die Ereignisse in der Nacht vom 9. zum 10. November zu ziehen, ist schwierig. Das birgt 25 Jahre nach den Ereignissen die Gefahr in sich, Vergangenes aus dem heutigen Blickwinkel, in einer völlig anderen Konstellation zu sehen und zu beantworten.
Trotz dieser Schwierigkeiten werde ich bemüht sein, bei meinen Betrachtungen meine damaligen Standpunkte, Einschätzungen und Empfindungen so wie ich sie im Herbst 1989 hatte, darzulegen.
Am 27.Juni 1989 hatte Ungarn den „Abbau“ der Grenzsicherungsanlagen veranlasst. Ungarn erhielt dafür von der BRD eine Wirtschaftshilfe von 500 Millionen D – Mark. In der Nacht vom 9.zum 10. September erfolgte mit großer Medienpräsenz die Grenzöffnung Ungarns zu Österreich. Über 60.000 Bürger haben über diese Grenze die DDR verlassen. Auch über die CSSR nahm die Fluchtbewegung zu. Allein über das Wochenende vom 4. bis 6.November reisten über den oberfränkischen Grenzübergang Schirnding 23.200 DDR – Bürger nach Bayern aus, d.h. sie verließen die DDR.
Die CSSR drohte, die Grenze zur DDR zu schließen. Es mussten deshalb durch die Partei und Staatsführung der DDR Sofortmaßnahmen ergriffen werden.
Bekanntlich hatte das Politbüro des Zentralkomitees der SED am 30.10.1989 beschlossen dem Ministerrat der DDR zu empfehlen,
- ein neues Reisegesetz zu erarbeiten
- den Entwurf öffentlich zur Diskussion zu stellen
- das neue Reisegesetz mit Wirkung vom 20.12.1989, (also noch vor Weihnachten) in Kraft zu setzen.
Bis dahin sollte auch das „Valuta – Problem“ für Reisegeld (pro Person 300 DM) geregelt sein Durch die eingetretene Situation in Ungarn und der CSSR konnte dieser Plan nicht eingehalten werden. Deshalb beschloss das Politbüro am 7.November 1989 für die nächste Sitzung des Zentralkomitees der SED einen Vorschlag zu unterbreiten, wonach der Teil des Reisegesetzes, der sich mit der ständigen Ausreise aus der DDR befasst, mit einer Durchführungsbestimmung sofort in Kraft gesetzt wird.
Am Morgen des 9. November kamen um neun Uhr je zwei Oberste des MfS und des MdI zusammen, um im Auftrag ihrer Minister und entsprechend der Vorgabe des Politbürobeschlusses das „CSSR – Problem“ mit einem Vorschlag zur Regelung de ständigen Ausreise aus der DDR zu lösen und die erforderlichen dienstlichen Weisungen für ihre Minister vorzubereiten. Die von ihnen erarbeitende Regelung über ständige Ausreisen sollte nunmehr nicht als Durchführungsbestimmung, sondern noch am gleichen Tage als Ministerrats – Beschluss gefasst und mit Wirkung vom 10. November in Kraft gesetzt werden.
Die vier Oberste hielten sich aber nicht an den Befehl einen Vorschlag für die „Ausreise –Bestimmungen“ zu erarbeiten , sondern haben auch Bestimmungen für „Privat – Reisen“ in den Ministerrats – Beschluss aufgenommen.
Wahrscheinlich war diesen vier Obersten des MdI und des MfS nicht bekannt, dass es im Zusammenhang mit dem Vier – Mächte – Status in Berlin eine Reihe von Besonderheiten gab.
Die Organe der DDR „konnten“ und „durften“ an der Berliner Grenze ohne die Zustimmung der sowjetischen Seite (Westgruppe und Botschaft) keine eigenen Aktivitäten entwickeln. Soweit ging die Souveränität der DDR nicht.
Diesen Umstand haben die vier Oberste außer Acht gelassen, da sie sich weder mit dem Ministerium für nationale Verteidigung, noch mit dem Kommando der Grenztruppen konsultiert haben.
Die Berliner Grenzübergangsstellen hätten ohne vorherige Rücksprache mit der sowjetischen Seite auch für die neuen Reiseregelungen nicht geöffnet werden dürfen.
Auf die Pressekonferenz von Schabowski möchte ich nicht näher eingehen. Sie ist allgemein bekannt.
Es gibt auf der Welt kein Beispiel für eine solche militär – politische Auswirkung durch die „vorzeitige“ Veröffentlichung einer Pressemitteilung, wie sie die Veröffentlichung von „Schabowski“ am 9. November 1989 nicht nur für die beiden deutschen Staaten, sondern auch für Europa gehabt hat.
Am 9. und 10. November 1989 fand die 10.Tagung des Zentralkomitees der SED statt. Es war leider keine normale Tagung, sondern aus meiner Sicht eine turbulente Zusammenkunft unterschiedlicher Gruppen. Es wurden viele alte, offene Rechnungen beglichen. Die Diskussion drehte sich vor allem um Kaderfragen.
- Schuld von Mittag und Herrmann
- Ablösung von 1. Bezirkssekretären der Partei
- wer kommt ins neue Politbüro
- die Politiker, die für die Lage in der DDR verantwortlich sind – erschießen – Aufhebung der Todesstrafe rückgängig machen
und viele andere Diskussionen, die einer Tagung des Zentralkomitees unwürdig waren und die mit Parteilichkeit wenig zu tun hatten.
In diese Diskussion hinein sagte Egon Krenz, es war gegen 16.00 Uhr,
- Günther (Jahn), Du musst mit deinem Diskussionsbeitrag warten, ich habe erst eine Information für das Zentralkomitee
- Egon Krenz verlas dann den Text des Ministerrats- Beschlusses „Zeitweilige Übergangsbestimmungen für Reisen und ständige Ausreisen aus der DDR“ den die vier Oberste des MdI und des MfS erarbeitet hatten. ( Anlage 2 )
Dieses Dokument wurde am 9. November im „Umlaufverfahren“ durch die Mitglieder des Ministerrates bestätigt. Ich glaube, das ist aber nur meine Meinung, der größte Teil der Mitglieder der Zentralkomitees war sich über die Auswirkungen dieses Ministerratsbeschlusses nicht im Klaren. Nach zwei bis drei Bemerkungen stimmte das Zentralkomitee dem Dokument zu.
Das Verhalten entsprach in diesem Fall einer kollektiven Blindheit des höchsten Organs der Partei. Politisch geschulte und bewährte Parteikader hätten doch vorausschauend beurteilen müssen, dass hier eine schicksalsschwere Entscheidung zur Debatte stand, die durch weitere unverzügliche Maßnahmen abgesichert werden muss.
Danach wurde die Diskussion mit dem Beitrag von Günter Jahn fortgesetzt. In der Pause, gegen 17.00 Uhr, übergab Egon Krenz diesen Beschluss des Ministerrates an Günter Schabowski mit der Weisung
- gib das bei der Pressekonferenz bekannt
- das ist der Knüller
- das ist die Weltsensation.
Damit wurde praktisch die Sperrfrist der Bekanntgabe, 10. Oktober, 04.00 Uhr, aufgehoben.
Als Schabowski am Abend des 9. November auf seiner mittlerweile legendären Pressekonferenz diese im Ministerrat erarbeitete neues Reiseregelung bekannt gab, war er in völliger Unkenntnis über den Zeitpunkt, zu dem sie in Kraft treten sollte. Auf die entsprechende Frage eines Journalisten antwortete er „Ab sofort, unverzüglich!“
Beabsichtigt dagegen war etwas ganz anderes. Erst ab dem nächsten Morgen sollte die Regelung in Kraft treten. Geplant war, den zu erwartenden Ansturm von Antragstellern auf die Dienststellen der Deutschen Volkspolizei zu lenken. Denn ständige Ausreisen, also die Übersiedlung in die Bundesrepublik, sollten ab 10.November zwar ohne Einschränkung genehmigt werden, aber nur nach einem entsprechenden Antrag, auch Besuchsreisen sollten auf Antrag genehmigt werden, jedoch bis zur Verabschiedung eines Reisegesetzes durch die Volkskammer an den Besitz eines Reisepasses und an die Erteilung eines Visums gekoppelt werden.
Statt des beabsichtigten kontrollierten Reiseverkehrs ab den 10. November löste Schabowskis Mitteilung einen Ansturm der Ostberliner auf die Grenzübergänge aus. Ohne jegliche Information und ohne Befehl der Führung standen die Angehörigen der Grenzübergangsstellen (GÜSt ) plötzlich ständig wachsenden Menschenansammlungen gegenüber, die nach Westberlin wollten.
Zu einem spontanen, sofortigen Ansturm auf die Berliner Grenzübergänge führten Schabowskis Mitteilungen indes nicht. Kurz vor Beginn der ARD – Tagesschau, um 19.45 Uhr, übertrumpfte DPA die AP – Meldung, stellte die Ankündigung Schabowskis als bereits vollzogene Tatsache dar und verkündete „Sensationelles“: „Die DDR Grenze zur Bundesrepublik und nach West – Berlin ist offen“. Die Tagesschau um 20 Uhr platzierte die Reiseregelung als Top – Meldung. „DDR öffnet Grenze „ lautete die eingeblendete Schrift.
Um 20.15 Uhr, 75 Minuten nach der Pressekonferenz Schabowskis und unmittelbar nach dem Ende der „Tagesschau“, hatten sich gerade einmal achtzig Ost – Berliner an den Grenzübergängen
- Sonnenallee ( acht bis zehn )
- Invalidenstraße ( 20 ) und
- Bornholmer Straße ( 50 )
zur „Ausreise“ eingefunden.
Höhepunkt der Fernseh – Berichterstattung waren die ARD „Tagesthemen“
„Reiseverkehr frei „, „Tore in der Mauer weit offen?“ „Völlig komplikationslos nach Weste – Berlin? „Nach diesen Berichten gab es für Tausende, ja Zehntausende Ost und West – Berliner sowie Bewohner des Umlandes, kein Halten mehr. Erst jetzt begann der Ansturm auf die Grenzübergänge. Gegen 01.00 Uhr waren alle GÜST in Berlin geöffnet.
Sicherlich wäre es kein Fehler gewesen, wenn sich zwischen 23.00 Uhr und 24.00 Uhr am
9. November
- Egon Krenz
- Erich Mielke
- Günter Schabowski
in Wandlitz getroffen und konkrete Maßnahmen auf Grund der brisanten und gefährlichen Lage in Berlin beraten und befohlen hätten. So wurde leider die Entwicklung an den Berliner GÜST dem Selbstlauf überlassen.
Gegen 24.00 Uhr am 9. November rief mich Egon Krenz an und informierte, dass auf Grund der entstandenen Lage eine Operative Führungsgruppe des NVR gebildet werden soll. Ich soll mich am 10. November um 07.00 Uhr in seinem Arbeitszimmer im Zentralkomitee melden. Gegen 05.45 Uhr war ich im Ministerium für Nationale Verteidigung und nahm die Meldungen über die Ereignisse der Nacht entgegen. Kurz nach 06.00 Uhr fuhr ich nach Berlin und traf gegen 06.50 Uhr im Arbeitszimmer von Egon Krenz ein. Nach einer kurzen Auswertung der Ereignisse der vergangenen Nacht und einer Einweisung durch Egon Krenz und Wolfgang Herger habe ich im Vorzimmer den Befehl 12/89 des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates über die Bildung einer Operativen Führungsgruppe des NVR vorbereitet und ihn gegen 07.45 Uhr dem Vorsitzenden zur Unterschrift vorgelegt.
Der Operativen Führungsgruppe gehörten sieben leitende Kader an, die gegen 08.00 Uhr im Arbeitszimmer des Generalsekretärs eintrafen und folgende Aufgaben hatten:
(1) Informationen über die Gesamtlage auf dem Territorium der DDR zu sammeln und zu analysieren,
(2) Ununterbrochen die Lage des Gegners einzuschätzen.
(3) Schlussfolgerungen bzw. Vorschläge für gesamtstaatliche Führungsentscheidungen vorzubereiten.
Gleichzeitig hatte ich die Aufgabe, stets engen Kontakt zum Oberkommandierenden der Westgruppe Armeegeneral Snetkow, zu halten und ihn über alle wichtigen Ereignisse oder Entscheidungen zu informieren. Nach einer kurzen gegenseitigen Information über die entstandene Lage habe ich den Oberkommandierenden der Westgruppe und meine drei Partner in Moskau, Warschau und Prag telefonisch über die Lage in der DDR informiert.
Gegen 08.30 Uhr rief ich den Oberkommandierenden der Westgruppe, Armeegeneral Snetkow, an und informierte ihn über die auf Grund der Öffnung der Grenzübergangsstellen zu Westberlin in Berlin entstandene Lage. Ich entschuldigte mich bei ihnen für unser Versäumnis, ihn nicht rechtzeitig über die geplante Öffnung der Grenzübergangsstellen in Berlin informiert zu haben und teilte ihm mit, dass ich in die Vorbereitungsmaßnahmen nicht einbezogen war. Das stieß bei ihm auf Unverständnis und er stellte mit die berechtigte Frage: „ Was ist denn bei Euch eigentlich los ? Wie kann man solche Maßnahmen ohne die Armeeführung durchführen?“
Ich versicherte ihm, alle von uns eingegangenen Verpflichtungen gegenüber der Westgruppe werden erfüllt.
An der militärischen Grenzsicherung zur BRD und zu Westberlin gibt es keine Abstriche. Ich bat ihn nochmals um Entschuldigung und äußerte im Auftrag von Minister Keßler die Bitte, er möge sich mit den zuständigen Militärs der drei Westmächte in Berlin in Verbindung setzen und sie bitten, nach Möglichkeit für Ruhe und Ordnung an der Grenze von westlicher Seite aus zu sorgen.
Dieser Bitte ist Armeegeneral Snetkow voll nachgekommen.
Der Chef des Stabes der Westgruppe, Generalleutnant Fursin hat mich in einem Fernschreiben über das Gespräch mit dem Leiter der beim Oberkommandierenden der Westgruppe akkreditierten Militärverbindungsmissionen informiert. (Anlage 3 )
Gegen 09.00 Uhr rief der sowjetische Botschafter Kotschemasow bei Egon Krenz an. Ich hörte nur, wie Egon Krenz sagte: „Bei mir ist General Streletz, der kann besser Russisch als ich, der wird Ihnen die Lage erläutern“. Kotschemasow stellte mir die Frage, wer hat Euch die Genehmigung zur Öffnung der Berliner Grenzübergangsstellen gegeben? Mit wem ist dieser Schritt abgestimmt worden? Mit ihm seien nur Maßnahmen abgesprochen, die die Öffnung der Grenzübergangsstellen an der Staatsgrenze der DDR zur BRD betrafen. Berlin hat einen besonderen „Viermächte – Status“ und die Handlungsweise der DDR – Organe hat der Autorität der Sowjetunion großen Schaden zugefügt.
Ich antwortete dem Botschafter, dass ich in die Vorbereitung und Durchführung dieser Maßnahme nicht einbezogen war.
Seine Antwort war, das kann doch nicht sein, die Grenze untersteht doch Euch. Meine Antwort war: An der militärischen Grenzsicherung zur BRD und zu Westberlin gibt es keine Abstriche.
Ich werde dieses Problem Egon Krenz vortragen, er möchte doch bitte nochmals in 30 Minuten anrufen, dann antworte ich ihm auf seine Fragen.
Ich informierte Egon Krenz über den Inhalt des Gespräches. Seine Entscheidung war: Wenn er in einer halben Stunde anruft, sag ihm, er soll sich mit Außenminister Oskar Fischer in Verbindung setzen.
Nach einer halben Stunde rief der Botschafter erneut an. Ich teilte ihm mit, dass Oskar Fischer die Weisung hat, ihm die Zusammenhänge der Öffnung der GÜST in Berlin zu erläutern. Er sagte gut, dann werde ich Oskar Fischer anrufen.
Gegen 09.45 Uhr erfolgte der 3.Anruf vom sowjetischen Botschafter. Er teilte mir Folgendes mit: Moskau ist über die Handlungsweise zur Öffnung der Berliner GÜST verstimmt. Im Interesse der Aufrechterhaltung der guten Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der DDR wäre es zweckmäßig, sofort ein Telegramm von Egon Krenz an Michael Gorbatschow zu schicken und unser Vorgehen in Berlin zu begründen. Ich sagte dem Botschafter, dass ich sofort Egon Krenz darüber informieren werde. Egon Krenz beauftragte mich ein solches Schreiben an Gorbatschow vorzubereiten. Der Stellvertretende Außenminister, Kurt Nier, und ich haben das bekannte Telegramm an Gorbatschow vorbereitet.
Das Dokument habe ich gegen 11.00 Uhr Egon Krenz während der ZK – Sitzung zur Unterschrift vorgelegt. (Anlage 1)
Zwischen den Gesprächen mit Botschafter Kotschemasow habe ich meine drei Partner, die Generalstabschefs in Moskau, Warschau und Prag angerufen und sie über die Lage in der Lage in der DDR, vor allen Dingen in Berlin informiert.
Ich versicherte meinen Partnern
- Es gibt keine „Verbrüderung“ mit dem Westen
- Die militärische Grenzsicherung zur BRD und zu Westberlin wird aufrechterhalten
- Trotz dieser Ereignisse, der Öffnung der Grenzübergangsstellen, nicht der Grenze, bleibt die NVA ein zuverlässiger Bündnispartner im Warschauer Vertrag
- Wir werden auch weiterhin, wie bisher, alle eingegangenen Bündnisverpflichtungen und Pläne der Zusammenarbeit erfüllen
- Es gibt keinen Grund, an der Zuverlässigkeit der NVA zu zweifeln
- Die neue Partei – und Staatsführung wird die erforderlichen Maßnahmen der Erneuerung einleiten, um eine stabile Lage in der DDR wieder herzustellen.
Meine Partner bedankten sich für die Information. Sie bekundeten ihre Bereitschaft, uns bei Notwendigkeit zu unterstützen und wünschten mir und uns viel Erfolg bei der Lösung der anstehenden schwierigen Aufgaben.
Gegen 10.00 Uhr kam Schalk – Golodkowski mit zwei Mitarbeitern und übergab mir einen Stadtplan von Berlin mit Einträgen, wo kurzfristig acht neue GÜST zu Westberlin eröffnet werden können. Er verließ uns wieder, aber seine Mitarbeiter blieben, damit sie alles mit den „Grenzern“ besprechen konnten.
Mir war nicht klar:
- Von wem hatte Schalck – Golodkowski eine solche Aufgabe erhalten?
- Mit wem hat er in Westberlin diese Fragen besprochen?
- Warum wurden wir, die Armee und die Grenzer, nicht über solche Aktivitäten informiert?
Wir haben sofort General Teichmann, Chef des Stabes der Grenztruppen und General Wöllner, Kommandeur des Grenzkommandos Mitte (Berlin) zur Operativen Führungsgruppe gerufen, beide mit den zwei Mitarbeitern von Schalck – Golodkowski zusammengeführt und die Aufgabe gestellt, die acht neuen GÜST kurzfristig vorzubereiten. Das erfolgte in der Nacht vom 10. zum 11. November für den Grenzverkehr geöffnet werden konnten.
In kollektiver Zusammenarbeit waren wir bestrebt, in der Operativen Führungsgruppen alle anstehenden Fragen zu lösen. Es mussten kurzfristig viele komplizierte Fragen entschieden und geklärt werden.
Wie sich die Lage entwickelte möchte ich anhand meiner Meldung an den Minister für Nationale Verteidigung mit Stand 04.00 Uhr am 11.11.1989 schildern:
„In der Hauptstadt der DDR , BERLIN , kam es in den Abend- und Nachstunden am 10. 11. Bzw. 11.11.1989 im Grenzabschnitt BRANDENBURGER TOR auf westlicher Seite zu einer Zusammenrottung von ca. 3.000 Personen, davon ca. 900 auf der Mauer. An der GÜST POTSDAMER PLATZ versuchten ca. 1.000 Personen mit Hilfsmitteln die Grenzmauer zu zerstören.
An allen Grenzübergangsstellen gab es umfangreiche Bewegungen. Eine starke Überfüllung entstand zeitweilig an der Grenzübergangsstelle INVALIDENSTRASSE, der durch gemeinsame Anstrengungen von Angehörigen der WESTBERLINER POLZEI und der Deutschen Volkspolizei begegnet wurde, um einen geregelten Ablauf zu gewährleisten.
Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt wurden registriert :
An der GÜST zur BRD
- ca. 49.436 Ausreisen
- ca. 18.585 Einreisen
An der GÜST zu BERLIN (WEST )
- ca. 308.100 Ausreisen
- ca. 239.800 Einreisen.“
Dank der guten „diplomatischen“ Hilfe durch die sowjetische Botschaft und die Westgruppe sowie der guten Unterstützung durch die Westberliner Polizei, konnte die Lage in Berlin am 11. November wieder mehr oder weniger „normalisiert“ werden.
Der Einsatz der Operativen Führungsgruppe des NVR hat sich in der Praxis bewährt. Die vielen komplizierten Fragen und Aufgaben konnten unbürokratisch und operativ gelöst werden.
Die von Egon Krenz am 9. November 1989 auf der Sitzung des Zentralkomitees vorgeschlagene neue Reiseregelung hatte nach meiner damaligen Einschätzung aus drei Gründen für die NVA und die Grenztruppen keine unmittelbare Bedeutung.
(1) Die neue Reiseverordnung wurde von den Organen des MfS und des MdI, ohne Mitarbeit des Ministeriums für Nationale Verteidigung vorbereitet und dem Politbüro sowie dem Ministerrat zur Bestätigung vorgelegt. Deshalb war auch die Vorbereitung der Umsetzung dieser neuen Regelung eine interne Angelegenheit der Organe des MfS und des MdI
(2) Für die Angehörigen des NVA und der Grenztruppen hatten diese neuen Reiseregelungen insofern keine unmittelbare Bedeutung, da Reisen in das kapitalistische Ausland, insbesondere in die NATO – Länder, grundsätzlich verboten waren. Deshalb betrafen diese neuen Regelungen auch nicht die Angehörigen des NVA und der Grenztruppen.
(3) Ob der Schlagbaum hochgeht und wer mit welchen Dokumenten die GÜST passieren darf, oblag den Passkontrolleinheiten, die dem MfS unterstanden. Darauf hatten die Grenztruppen und der Kommandant der GÜST keinen Einfluss. So war das auch bei den jeweiligen Passierscheinabkommen mit Westberlin.
Auch heute glaube ich, dass meine damalige Einschätzung am 9. November richtig war. Keiner konnte voraussehen, was Schabowski auf der Pressekonferenz für eine Katastrophe auslösen würde.
Für die Grenztruppen hätten sich bei einem normalen Ablauf bzw. bei der Realisierung der neuen „Reiseverordnung“ keine Konsequenzen ergeben!
Bei der Einschätzung der militär – politischen Ereignisse am 9. bzw. 10. November 1989 sollten wir aus meiner Sicht drei Besonderheiten berücksichtigen:
(1) Eine solche Grenzöffnung am 9.November 1989 in Berlin war
- Weder mit der sowjetischen Partei – und Staatsführung noch
- Mit dem sowjetischen Generalstab abgestimmt
Sie kam für Gorbatschow und auch für den sowjetischen Verteidigungsminister Jasow überraschend, als Alleingang der DDR. Diese Feststellungen beweisen die drei Telefonate, die der sowjetische Botschafter Kotschemasow mit mir am 10. November zwischen 09.00 Uhr und 10.00 Uhr im Arbeitszimmer von Egon Krenz geführt hatte und seine Aufforderung, sofort ein Telegramm an Gorbatschow zu schicken und ihm unsere Handlungsweise zu erklären.
(2) Eine solche, für die drei Minister der bewaffneten Organe zeitlich überraschende Öffnung des GÜST in Berlin, ohne notwendige Vorbereitungsmaßnahmen war weder geplant noch beabsichtigt. Wir sind von einer Öffnung der Grenzübergangsstellen am 10.November, d.h. nach einer Vorbereitungszeit von 8 bis 10 Stunden ausgegangen. Diese Zeit hätte vollkommen ausgereicht, um bei Notwendigkeit eine klare und abgestimmte Befehlsgebung zwischen den drei Ministern bis nach unten durchzusetzen.
(3) Schabowski wusste als Vorsitzender der Bezirksleitung Berlin,
- Der das gesamte Grenzsicherungssystem in Berlin gut kannte,
- Der immer über die Lage an der Staatsgrenze allseitig informiert war
- Was seine Worte – sofort – unverzüglich-
für die 11 GÜST in Berlin für Auswirkungen haben mussten und auch tatsächlich hatten. Ich möchte mich nicht an den Spekulationen beteiligen, ob diese zeitliche Angabe Schabowskis – sofort – unverzüglich
- Ein Versehen, ein Lapsus,
- Eine Wichtigtuerei war, oder
- Welche Zielstellung sie hatte.
Eines stand für mich fest:
Diese unverantwortliche Handlungsweise eines führenden Politikers der DDR, egal welche Zielstellung ihr zugrunde lag, hat die DDR an den Rand eines Bürgerkrieges gebracht. Nur dem politisch bewussten und besonnenen Verhalten und Handeln der Angehörigen der Grenztruppen in Berlin, des Ministeriums für Staatssicherheit und der Deutschen Volkspolizei sowie der strengen Einhaltung des Befehls Nr. 11/89 – kein Einsatz der Schusswaffe durch die bewaffneten Organe – ist es zu verdanken, dass es zu keiner Eskalation der Ereignisse mit schwerwiegenden, tragischen Vorkommnissen gekommen ist.
Ein Schuss an der Grenze hätte eine Katastrophe, eine Kettenreaktion auslösen können.
Was in den Abend – und Nachtstunden des 9. November an der Grenze zu Westberlin ablief und die in diesem Zusammenhang erfolgte Führungs- und Leitungstätigkeit durch das Ministerium für Nationale Verteidigung, war kein Ruhmesblatt für die militärische Führung.
Ausgelöst und verursacht wurde die kritische Situation an der Berliner Grenze durch die politische Führung. Die militärische Führung musste jedoch die durch Schabowski ausgelöste Gefahr einer Eskalation der Ereignisse in Berlin ausbaden.
Eine besondere Würdigung verdienen die Anstrengungen und Leistungen der Angehörigen der Grenztruppen. Im Herbst und Winter 1989 wurden durch die Grenzsoldaten 139 neue Grenzübergänge an der Staatsgrenze der DDR zur BRD geschaffen. (Harz – Thüringer Wald ) mit den bereits vorhandenen 20 GÜST gab es zu Weihnachten 1989 159 Grenzübergänge zur BRD. Ein großzügiger Weihnachtsbesuch in beiden Richtungen war dadurch möglich.
Auf eine Reihe von Fragen, die im Herbst 1989 in der NVA und den Grenztruppen ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt haben, möchte ich nicht näher eingehen. Damit haben sich bereits nicht wenige „Historiker“ befasst und ihre Veröffentlichungen sind allgemein bekannt.
Zu diesen Fragen bzw. Problemen gehören :
- Der Befehl zur Herstellung der erhöhten Gefechtsbereitschaft in der 1. MSD und im Luftsturmregiment 40 vom 10. November 1989. (Wurde nach 25 Stunden wieder aufgehoben)
- Die Kollegiumssitzung am 9. November 1989
- Die Umstrukturierung der sechs aufgelösten Panzerregimenter zu „Ausbildungsbasen“ mit der Zielstellung, die einberufenen Soldaten
o In drei Monaten militärisch auszubilden und sie danach
o 15 Monate in der Volkswirtschaft einzusetzen.
- Der Einsatz von über 12.000 Angehörigen des NVA und der Grenztruppen in Schwerpunktbereichen der Volkswirtschaft
- Das Parteiaktiv im Ministerium für Nationale Verteidigung am 11. und 15. November 1989 mit der Forderung der Ablösung des Ministers für nationale Verteidigung, des Chefs der Politischen Hauptverwaltung und später auch des Chefs des Hauptstabes.
Diese fünf dargelegten Fragen bzw. Probleme hatten im Herbst 1989 erhebliche Auswirkungen auf den politisch –moralischen Zustand sowie auf die Gefechtsbereitschaft der NVA und der Grenztruppen und müssen bei der Einschätzung der Ereignisse im Herbst 1989 ebenfalls einen gebührenden Platz einnehmen.
Nicht unerwähnt sollte auch eine solche Aufgabe bleiben, wie die Entlassungsmaßnahmen in allen Teilstreitkräften am 26. Und 27. Oktober, aber auch die hervorragende Arbeit der 215 Wehrkreiskommandos bei den Einberufungen am 1. und 2. November 1989. Unter komplizierten Bedingungen wurden beide Aufgaben auf einem hohen Niveau gelöst.
Aus meiner Sicht ergeben sich aus den Ereignissen der sogenannten „Maueröffnung“ folgende Schlussfolgerungen:
(1) Die Partei - und Staatsführung und militärische Führung ist ihrer Verantwortung in dieser äußerst komplizierten militärisch – politischen Lage nicht im vollen Umfang gerecht geworden. Sie hat praktisch versagt und die Entwicklung in den brisanten Nachtstunden vom 9. zum 10.November dem Selbstlauf überlassen. Es war kein Ruhmesblatt für die Führung der DDR.
(2) Grundlage dafür, dass trotz dieses unübersichtlichen und von niemand erwarteten Ansturms auf die GÜST in Berlin alles friedlich verlief, war die klare Befehlsgebung durch die Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates Erich Honecker bzw. Egon Krenz
- mit dem Befehl Nr. 9/89 vom 14.10.1989
o keine Gewallt
o kein Schusswaffeneinsatz und
- mit Befehl Nr. 11/89 vom 3.11.1989
Diese Befehle wurden von den Angehörigen der NVA, der Grenztruppen der DDR, des MfS und des MdI strikt eingehalten. Sie waren die Grundlage für das politische besonne Verhalten der Angehörigen der bewaffneten Organe, auch als die konkreten Weisungen der Vorgesetzten fehlten.
(3) Die Autorität und das internationale Ansehen der Sowjetunion haben durch unsere eigenständigen Handlungen großen Schaden erlitten.
Für Berlin galt nach wie vor der vier Mächte Status und
- die selbständigen Handlungen der DDR,
- ohne vorherige Informationen der sowjetischen Seite,
- das heißt, der Botschaft und der Westgruppe
haben die Sowjetunion kalt getroffen und gegenüber den drei Westmächten blamiert.
In Moskau fragte man sich berechtigt:
Wie ist so etwas bei unserem treuesten Verbündeten im Warschauer Vertrag möglich.
(4) Die Autorität der nationalen Volksarmee hat durch diese unüberlegten Handlungen großen schaden genommen.
Wir wurden im Warschauer Vertrag als das große Vorbild
- für militärische Exaktheit
- für militärische Disziplin und Ordnung
- für gewissenhafte Pflichterfüllung
durch die sowjetische Seite und das Oberkommando der vereinten Streitkräfte dargestellt. Meine Telefonate mit meinen Partnern zu den Ereignissen an der Grenze waren wahrhaftig nicht einfach.
(5) Selbstkritisch möchte ich einschätzen, dass ich als Militärspezialist, der die militär –politische Lage in der DDR kannte, nicht den Mut hatte, zum Generalsekretär zu gehen und am 2. Beratungstag der ZK – Tagung zu sagen: Hört auf mit diesen Gequatsche und den gegenseitigen Schuldzuweisungen und lasst und den Nationalen Verteidigungsrat und die 15 Vorsitzenden der Bezirkseinsatzleitungen zu einer Beratung zusammen rufen, um konkrete Maßnahmen für die Sicherheit und Ordnung in der DDR zu beraten und zu beschließen. Das wäre sicherlich bedeutend besser und wichtiger gewesen als die Diskussion im Plenum. Aber hinterher ist man immer schlauer.
3. 3.Zur Zusammenarbeit der NVA mit der Westgruppe während der Wende 1989
(Angeblicher Befehl aus Moskau – Die Westgruppe bleibt in den Kasernen )
- Zu den angeblichen Befehl, den die Westgruppe aus Moskau erhalten haben soll, während der Wende
- in den Kasernen zu bleiben und
- die Objekte nicht zu verlassen.
Ich möchte anhand von drei Problemkreisen die Beweisführung antreten, dass es nach meiner Kenntnis einen solchen Befehl aus Moskau für die Westgruppe im Herbst 1989 nicht gegeben hat.
(1) Am 13. Oktober 1989, gegen 17.00 Uhr haben Egon Krenz und ich Erich Honecker den Befehl Nr. 9/89 des Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates über „Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung in Leipzig“ vorgelegt. In diesem Zusammenhang habe ich Erich Honecker darüber informiert, dass die Monate September und Oktober sowohl für die Nationale Volksarmee als auch für die Westgruppe Monate der intensivsten Übungstätigkeit mit Gefechtsschießen und Inspektionen waren und sind. Ein großer Teil der Truppenübungen wird zum Abschluss des Ausbildungsjahres in dieser Periode durchgeführt.
Für die Nationale Volksarmee wurden die Truppenübungen und das Gefechtsschießen sowie die Inspektionen auf Grund der entstandenen politischen Lage abgesetzt. Geschlossene Truppenteile verlassen nicht mehr die Kasernen. Für die Westgruppe gab es solche Festlegungen nicht. Man musste davon ausgehen, dass es auch am 16. und 17. Oktober erhebliche Truppenbewegungen durch die Sowjetarmee auf unserem Territorium geben wird. Diese Truppenbewegungen hätten im Zusammenhang mit den bevorstehenden Großdemonstrationen missverstanden werden und erhebliche Auswirkungen haben können.
Erich Honecker beauftragte mich, mit dem Oberkommandierenden der Westgruppe, Armeegeneral Snetkow, Verbindung aufzunehmen und ihn zu bitten, nach Möglichkeit in den nächsten Tagen keine Truppenbewegungen in den Räumen Halle – Leipzig – Dresden und Potsdam - Berlin durchzuführen.
Ich habe am 14. Oktober den Oberkommandierenden der Westgruppe angerufen und ihm unser Anliegen vorgetragen. Dieser Bitte ist Armeegeneral Snetkow nachgekommen, die geplanten Übungen fanden nicht statt, die Truppenteile der Westgruppe blieben in den Kasernen.
Dabei hat der Oberkommandierende zum Ausdruck gebracht:
„ Genosse Streletz, die Gruppe ist immer bereit, ihren Waffenbrüdern der nationalen Volksarmee die erforderliche Hilfe und Unterstützung zu gewähren. Sollte etwas sein, ein Anruf genügt und wir sind bereit euch zu unterstützen.“
Ich bedankte mich dafür und teilte ihm mit, dass ich darüber Erich Honecker Meldung erstatten werde.
Es ging also nicht um einen Befehl aus Moskau, sondern um die Bitte der Partei- und Staatsführung der DDR, dass die Westgruppe in den kritischen Tagen der Massendemonstrationen die Objekte nicht verlässt.
(2) Ein weiterer Beweis dafür, dass es auch aus Moskau keinen solchen Befehl gegeben hat.
Gorbatschow hat ein Buch veröffentlicht: „Wie es war – die deutsche Wiedervereinigung“ . Ich finde in dieser Veröffentlichung keinen Anhaltspunkt, dass Gorbatschow einen solchen Befehl, die sowjetischen Truppen der Westgruppe bleiben in den Kasernen, an den sowjetischen Verteidigungsminister, Marschall Jasow, oder den Oberkommandierenden der Westgruppe, Armeegeneral Snetkow, gegeben hätte.
Wäre im Herbst 89 eine solche Weisung gegeben worden, dann hätte er in seinem Buch diese wichtige Entscheidung nicht nur erwähnt, sondern bestimmt auch ausführlich angesprochen und kommentiert. Dann hätte er, davon bin ich überzeugt, in seinem Buch dieser Frage auf Grund seiner Eitelkeit und seines Hangs zur Selbstdarstellung, eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet, um sich in ein besonderes Licht zu stellen.
Ich glaube, diese Tatsache ist ein weiterer Beweis dafür, dass es im Herbst 1989 keinen Befehl aus Moskau gegeben hat, dass die Truppen die Kasernen nicht verlassen dürfen.
(3) Anfang Dezember 1989 befand ich mich zu einer Beratung der Chefs der Generalstäbe des Warschauer Vertrages im Generalstab in Moskau
Es ging um die sogenannte Wiener Konferenz über die Truppenreduzierung des Warschauer Vertrages und der NATO.
In einem persönlichen Gespräch informierte ich den Oberkommandierenden der Vereinten Streitkräfte und den Chef des Generalstabes der Sowjetarmee über die Lage in der DDR.
Die sowjetische Seite bewegte vor allem die Frage,
- Werden die Bündnisverpflichtungen im Warschauer Vertrag durch die DDR erfüllt?
- Werden alle Verpflichtungen der DDR gegenüber der westgruppe im vollem Umfang wahrgenommen?
Bei diesem Meinungsaustausch, der in freundschaftlicher Atmosphäre verlief, brachte der Oberkommandierende der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages, Armeegeneral Luschew, der selbst jahrelang Oberkommandierender der GSSD war, zum Ausdruck:
„Genosse Streletz, berücksichtige, dass die Westgruppe auf euren Territorium immer bereit ist, euch auf allen Gebieten zu unterstützen. Halte immer engen Kontakt zum Oberkommandierenden, Armeegeneral Snetkow. Er hat die Weisung euch allseitig zu unterstützen.“
Auch hier kein Wort, kein Anhaltspunkt darüber, dass die Westgruppe einen Befehl hätte, die Kasernen nicht zu verlassen.
Ich habe diese Problematik etwas ausführlicher angesprochen, weil es um die historische Wahrheit geht.
Auch während der sogenannten „Wende“ gab es ein ständig enges Zusammenwirken zwischen dem Hauptstab der NVA und dem Stab der Westgruppe in Wünsdorf. Es gab eine allseitige Abstimmung der wichtigsten Maßnahmen und eine gegenseitige Information.
Gleichzeitig sei mir in diesem Zusammenhang der Hinweis gestattet, und ich weiß wo von ich rede, dass es während der Wende 1989 weder bei Erich Honecker, noch bei Egon Krenz Überlegungen oder Absichten gegeben hat, die Westgruppe für irgendwelche Handlungen im Innern der DDR einzusetzen.
Wir hatten durch
- die Nationale Volksarmee
- die Grenztruppen der DDR
- das Ministerium für Staatssicherheit
- die Deutsche Volkspolizei
annährend 400.000 Mann unter Waffen. Wir hätten bei einem möglichen oder notwendigen Einsatz der bewaffneten Kräfte alle anstehenden Aufgaben auch ohne Hilfe der Sowjetarmee (der Westgruppe) erfüllen können.
Das ist die historische Wahrheit und die früheren sowjetischen Generale der Westgruppe und des Generalstabes der Streitkräfte der UdSSR sind bereit, diesen Sachverhalt vor jeder deutschen Institution zu bestätigen.
Einige Bemerkungen zu meinem Ausscheiden aus dem aktiven Wehrdienst Ende 1989
In den Monaten November – Dezember gab es in der NVA und den Grenztruppen verstärkte Aktivitäten in Richtung Veränderung der Militärpolitik und der Landesverteidigung. Am 17.11.1989 erfolgte der Rücktritt von Minister Keßler.
Admiral Hoffmann wurde neuer Verteidigungsminister und es begann die Arbeit an einer „Militärreform“.
Das Zentralkomitee und das Politbüro wurden abgewählt. Die Regierung der DDR ist zurückgetreten. Egon Krenz ist am 6. Dezember als Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates ebenfalls zurückgetreten.
Neue, reformfreudige Köpfe brauchte auch die Armeeführung.
Ich war
- Mitglied des Zentralkomitees
- Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates
- Stellvertreter des Verteidigungsministers und Chef des Hauptstabes der NVA
- Stellvertreter des Oberkommandierenden des Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages für die NVA
Meine Hauptaufgabe sah ich darin
- Die Gefechtsbereitschaft der NVA und der Grenztruppen zu erhalten
- Unsere Bündnisverpflichtungen im Warschauer Vertrag voll zu erfüllen
- Keine Gewalt und keinen Schusswaffeneinsatz im Interesse der DDR zuzulassen
- Den neuen Verteidigungsminister, Admiral Hoffmann allseitig bei seiner Einarbeitung in diese verantwortungsvolle Funktion zu unterstützen
Ich konnte nicht über Nacht das alles über Bord werfen, wofür ich 41 Jahre lang, davon 25 Jahre in verantwortungsvollen Funktionen, gearbeitet und gekämpft hatte.
Deshalb war für mich klar, du kommst den Forderungen nach, auch die Armeeführung braucht neue, reformfähige Köpfe und gehst in Rente.
Eine Woche lang habe ich die Übergabe an meinen Nachfolger vorbereitet. Zwischen Weihnachten und Neujahr erfolgte die Übergabe.
Die 12 Chefs und Leiter des Hauptstabes haben im Verlauf von zwei Tagen ihre ausführlichen Auskunftsberichte vorgetragen und auf alle Fragen offen und ehrlich geantwortet.
Danach habe ich mich auch darum bemüht, dass meine engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend ihren Fähigkeiten eingesetzt werden.
Am 31.12.1989 habe ich einen intakten und führungsbereiten Hauptstab, der auch im Warschauer Vertrag einen guten Ruf hatte, mit rund 600 Mitarbeitern an meinen Nachfolger übergeben, Natürlich fiel es mir nicht leicht, aus dem aktiven Dienst auszuscheiden. Aber ich war 63 Jahre alt und wäre in zwei Jahren entsprechend den militärischen Bestimmungen in Rente gegangen.
Ich habe dem 10 Jahre jüngeren und militärisch hochqualifizierten, reformbereiten Generalleutnant Grätz den Platz als Chef des Hauptstabes frei gemacht und ihm viel Erfolg in der neuen verantwortungsvollen Funktion gewünscht.
Immer und überall, auch in den Haftanstalten Moabit und Hakenfelde habe ich in den letzten 25 Jahren unterstrichen:
Zu meiner Verantwortung und Biographie stehe ich.
Es gibt keinen Befehl, den ich in meiner militärischen Dienstzeit erteilt habe, dessen ich mich heute vor mir oder der Geschichte schämen müsste.
Trotz der vielen Verleumdungen, Schikanen, Demütigungen und Erniedrigungen, vor allen Dingen nach meiner Verurteilung zu einer Haftstrafe von 5 ½ Jahren, kann ich heute noch aufrecht gehen.
Ich bin bestrebt,
- Trotz des Verlustes meines Staates und meiner Armee,
- Trotz meiner Strafrente (meine Rente ist um 250 Euro geringer, als das Ruhegehalt eines Stabsfeldwebels der Bundeswehr )
erhobenen Hauptes in die Zukunft blicken.
Im Leben lernt man sehr viel auch aus den Niederlagen.
Von Siegern, die die Macht auf den Tablett serviert bekamen, hätte ich mehr Gerechtigkeit erwartet. Ich hadere nicht mit meinem Schicksal.
Wut, Hass und Rachegefühle waren noch nie gute Berater bei der Lösung von Problemen. Jede Gesellschaft wird auch danach beurteilt, wie sie ihre früheren Gegner behandelt.
Die Geschichte wird, davon bin ich überzeugt, ein gerechtes Urteil über die DDR, ihre Nationale Volksarmee und die Grenztruppen fällen.
Der beste Satz ist der hier:
Zitat
Keiner konnte voraussehen, was Schabowski auf der Pressekonferenz für eine Katastrophe auslösen würde.
Ansonsten hat er sich doch wohl einem Politbüro-Mitglied zu fügen?
Ist doch klar! Immer sind Andere Schuld! Kennt man doch zu genüge in der deutschen Geschichte!
Grüsse steffen52

Zitat von Harzwanderer im Beitrag #2
Der beste Satz ist der hier:Zitat
Keiner konnte voraussehen, was Schabowski auf der Pressekonferenz für eine Katastrophe auslösen würde.
Ansonsten hat er sich doch wohl einem Politbüro-Mitglied zu fügen?
Es gibt eindeutige und klare Kommandostrukturen !
Schabowski hat mit seinen dämlichen Gefasel und Gestottere alles durcheinander gebracht. Wie bekannt gab es keine Befehle oder DA die die beteiligten Ministerien ( NVA, MdI, MfS und MAH ) von der neuen Situation an der Grenze informiert haben.
passport
mein Gott so einen Roman hier eizustellen . Als nicht Politiker und schon etwas betagt , hinten angekommen weis ich schon nicht mal den Anfang mehr
ich sage einfach " wer ist dafür das wir dagegen sind "
gruß Hapedi

Ich hätte es am liebsten auch nochmal Kopiert.
Um was geht es in dem Buch ?
Kritik und Selbstkritik, das wäre durchaus sehr interessant gewesen von ihm. Aber er will sich nur rechtfertigen und selbst ins rechte Licht rücken. Kein herzliches Wort über das Volk oder die Wende oder so. Prädikat: Unbelehrbar.

Zitat von passport im Beitrag #4Zitat von Harzwanderer im Beitrag #2
Der beste Satz ist der hier:Zitat
Keiner konnte voraussehen, was Schabowski auf der Pressekonferenz für eine Katastrophe auslösen würde.
Ansonsten hat er sich doch wohl einem Politbüro-Mitglied zu fügen?
Es gibt eindeutige und klare Kommandostrukturen !
Schabowski hat mit seinen dämlichen Gefasel und Gestottere alles durcheinander gebracht. Wie bekannt gab es keine Befehle oder DA die die beteiligten Ministerien ( NVA, MdI, MfS und MAH ) von der neuen Situation an der Grenze informiert haben.
passport
@passport
was bedeutet MAH für eine Abkürzung?
MFG Batrachos
Ministerium für Außenhandel

Sehr interessant, ich bin nur verwundert, dass dies erst nach 25 Jahren so ausführlich dargestellt wird.
MfG
GKUS64
Auf mich wirkt er illoyal. Seiner damaligen Führung und auch dem Volk gegenüber.

Zitat von Batrachos im Beitrag #9Zitat von passport im Beitrag #4Zitat von Harzwanderer im Beitrag #2
Der beste Satz ist der hier:Zitat
Keiner konnte voraussehen, was Schabowski auf der Pressekonferenz für eine Katastrophe auslösen würde.
Ansonsten hat er sich doch wohl einem Politbüro-Mitglied zu fügen?
Es gibt eindeutige und klare Kommandostrukturen !
Schabowski hat mit seinen dämlichen Gefasel und Gestottere alles durcheinander gebracht. Wie bekannt gab es keine Befehle oder DA die die beteiligten Ministerien ( NVA, MdI, MfS und MAH ) von der neuen Situation an der Grenze informiert haben.
passport
@passport
was bedeutet MAH für eine Abkürzung?
MFG Batrachos
MAH - Ministerium für Aussenhandel. Der Zoll war dem MAH unterstellt.
passport
Zitat von Alfred im Beitrag #5Zitat von steffen52 im Beitrag #3
Ist doch klar! Immer sind Andere Schuld! Kennt man doch zu genüge in der deutschen Geschichte!
Grüsse steffen52
Kannst Du dies bitte mal genauer erklären ?
Es ist doch raus zu lesen, das es Schabowski gewesen ist, der den Schlamassel verzapft hatte! Warum es soweit gekommen ist und die Leute auf die Straße gegangen sind, da hat der Gen.Streletz, auch eine Aktie mit dran! Ist aber OT!!
Grüsse steffen52

Jetzt kommt die große Stunde der Zitierer, Beitrag 1 bitte immer wieder komplett zitieren!!!